Kampfpause in der Ukraine

Kiew · In der Konfliktregion Donbass schweigen die Waffen weitgehend. Kritisch bleibt die Lage aber bei Debalzewo nordöstlich von Donezk, wo ukrainische Truppen eingekreist sein sollen.

Auf den Schlachtfeldern der Ukraine schweigen erstmals wieder die Waffen. Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE ) bestätigten gestern in Kiew , die Feuerpause habe in den ersten zwölf Stunden gehalten - mit einigen Ausnahmen vor allem im strategisch wichtigen Ort Debalzewo. Bis zur letzten Minute vor Beginn der Feuerpause in der Nacht zum Sonntag hatten sich Aufständische und Regierungstruppen bekämpft. Und beide Seiten belauern sich weiter. Vom "Endsieg" sprechen die prorussischen Separatisten , sie warnen die Zentralmacht vor Provokationen und drohen mit Vergeltung. Kriegerische Geste auch in Kiew : Präsident Petro Poroschenko verkündet die Feuerpause in Militäruniform. Dies sei die "letzte Chance für den Friedensprozess", und die wolle er nutzen. Zugleich droht er mit dem Kriegsrecht , sollte die Waffenruhe scheitern.

Umstrittener Hilfskonvoi



Als nächsten Schritt sollen Militär und Separatisten in den kommenden Tagen ihre schweren Waffen hinter eine Trennlinie zurückziehen, um eine Pufferzone zu bilden. Die ukrainische Armee bereitet den Abzug nach eigener Darstellung bereits vor. Die Geschütze müssten aber gleichzeitig mit den Waffen der Separatisten abgezogen werden, hieß es. Von einem "Test für den Willen zum Frieden" war die Rede.

Die Waffenruhe wurde von diplomatischen Kontakten auf höchster Ebene begleitet. Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande appellierten an alle, sich an das Minsker Abkommen zu halten. Sie hatten beim Beschluss der Kampfpause in der weißrussischen Hauptstadt vermittelt, an dem auch Kremlchef Wladimir Putin beteiligt war. Merkel und Hollande telefonierten sowohl mit Poroschenko als auch mit Putin.

" Der Friedensprozess steht unter schweren Vorbehalten, besonders wegen der Situation um Debalzewo", warnte Poroschenko. Die Lage um den Verkehrsknotenpunkt nördlich von Donezk ist heikel, weil dort nach Angaben der Separatisten Tausende ukrainische Soldaten eingekreist sind, was Kiew aber nicht bestätigt. Russland schickte indes erneut einen umstrittenen Hilfskonvoi mit über 170 Lkw in den Donbass. Die Ukraine sieht darin eine Verletzung ihrer Souveränitä t.

Ein Scheitern der Waffenruhe könnte eine furchtbare Eskalation nach sich ziehen. Poroschenko will dann das Kriegsrecht verhängen, die USA könnten Waffen an die prowestliche Führung in Kiew liefern, und Russland würde sich an dem Konflikt möglicherweise mit regulären Truppen beteiligen - ein Horrorszenario, das das Minsker Abkommen im Handumdrehen zunichtemachen würde. Ein diplomatischer Kraftakt wie in Minsk lasse sich nicht so schnell wiederholen, warnt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.

Die Aufständischen machten indes deutlich, dass sie keinen Deut nachgeben wollen. "Jedes Stück unserer Erde ist mit unserem Blut begossen. Solange wir leben, wird uns niemand dieses Land nehmen", sagt Separatistenführer Alexander Sachartschenko. Er sieht das Abkommen nur als "vage Zusammenstellung von Phrasen".

Meinung:

Viel Gefahr, wenig Hoffnung

Von SZ-RedakteurVolker Meyer zu Tittingdorf

Die Waffen ruhen - fast überall. Das ist schon als Erfolg zu werten - gerade angesichts der Kämpfe bis kurz vor Beginn der Feuerpause. Die Gefahr einer Eskalation und damit eines Scheiterns des Minsker Abkommens besteht unvermindert fort. Der Krieg kann jederzeit wieder in voller Härte ausbrechen. Vor allem die Separatisten , die sich Russlands militärische Hilfe sicher wissen, haben den Finger am Abzug. Sie wollen siegen und keine Kompromisse schließen. Und Russlands Präsident Wladimir Putin lässt sie gewähren. Es ist zu fürchten, dass seine aggressive Großmachtpolitik die USA zu Waffenlieferungen provoziert - mit gänzlich ungewissen Folgen. Doch noch gibt es Grund zur Hoffnung. Mit jedem Tag, den die Waffenruhe hält, kann sich zeigen, dass das Minsker Abkommen einen echten Friedensprozess angestoßen hat.

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