„Ohne Schulden kein Wachstum“

Berlin · Prognosen zufolge wird die Weltwirtschaft in diesem Jahr nur noch um 3,2 Prozent wachsen. 2010 zum Beispiel waren es noch 5,4 Prozent. Nun wollen die großen Industrienationen der Sache neuen Schwung geben. Auf ihrem G7-Gipfel in Japan war jedoch umstritten, welche Maßnahmen dafür taugen. Nach Einschätzung des Wirtschaftsweisen Peter Bofinger ist eine Stärkung der privaten Nachfrage erforderlich. Warum, erklärte der Würzburger Ökonom im Gespräch mit unserem Korrespondenten

Herr Bofinger, gibt es einen Königsweg, um die Weltwirtschaft anzukurbeln?
Bofinger: Die Weltwirtschaft wird schon jetzt spürbar angekurbelt. Von Japan über die USA bis nach Großbritannien und Frankreich liegen die Haushaltsdefizite bei drei Prozent und mehr. Staaten wie Indien und China liegen noch deutlich darüber. Das Wachstum basiert damit in erster Linie auf neuen Schulden der öffentlichen Hand.

Und das macht Ihnen keine Sorgen?
Bofinger: Ich sehe dazu keine Alternative. Die Inflation ist ja extrem niedrig. Das heißt, wir haben global betrachtet eine sehr schwache Nachfrage. Die Schulden, die die Staaten machen, müssen eine Nachfragelücke stopfen, die im privaten Bereich entstanden ist.

Woran liegt das?
Bofinger: Das liegt aus meiner Sicht daran, dass wir in den letzten Jahrzehnten weltweit eine massive Umverteilung von den Arbeitseinkommen zu den Kapitaleinkommen erlebt haben und von den Niedriglöhnern zu den Besserverdienern. Man hat also den Leuten Geld genommen, die von ihren Einkommen viel ausgeben und wenig sparen, und es denen gegeben, die viel sparen und gemessen daran wenig ausgeben. Die Unternehmen und die reichen Haushalte investieren und konsumieren zu wenig. Sie sparen zu viel. Die staatliche Verschuldungspolitik ist der Versuch, diese Nachfragelücken zu stopfen, damit die Weltwirtschaft
überhaupt noch wächst.

Deutschland ist wirtschaftlich sehr erfolgreich, auch beim privaten Konsum. Statt immer neuer Schulden wurden Reformen gemacht. Ist das nicht der bessere Weg?
Bofinger: Dieses deutsche Modell funktioniert aber nur, weil sich andere Staaten massiv verschulden. Würden sie das nicht tun, hätten wir keinen Überschuss in unserer Leistungsbilanz. Man kann es auch so sagen: Würden alle Staaten die schwarze Null à la Schäuble praktizieren, dann würde die Weltwirtschaft in ein schwarzes Loch fallen. Deutschland ist Trittbrettfahrer der expansiven Fiskalpolitik der anderen großen Länder.

Wieviel globales Wachstum ist eigentlich erstrebenswert?
Bofinger: Wachstumsraten im Bereich von etwa 3,5 Prozent sind für die Weltwirtschaft so schlecht nicht. Das Problem ist aber, dass dieses Wachstum eine extreme Verschuldung und sehr niedrige Zinsen benötigt und damit kein nachhaltiges Wachstum ist. Um wieder zu einem gesunden, selbsttragenden Wachstum zu kommen, müssen wir uns an den Leitspruch von Ludwig Erhard erinnern: Wohlstand für alle. Das heißt, wir brauchen einen Anstieg der Arbeitseinkommen in voller Breite. Dann bräuchte es auch keine staatlichen Schulden mehr.

Inwieweit könnte ein EU-Austritt Großbritanniens die internationale Wirtschaft beeinflussen?
Bofinger: Die unmittelbaren ökonomischen Effekte wären eher begrenzt. Nicht zu unter schätzen ist jedoch der psychologische Faktor. Allerdings eher auf Großbritannien bezogen. Denn mit einem EU-Austritt dürften die Investitionen dort sinken.

Große Volkswirtschaften wie etwa China oder Indien sitzen bei G7 gar nicht mit am Tisch. Kann das so bleiben?
Bofinger: Ich halte das Format G7 für überholt. Ursprünglich war es dazu gedacht, dass die wichtigsten Weltenlenker einmal ungestört über wichtige Fragen nachdenken können. Mittlerweile ist G7 aber völlig überfrachtet. Und es sitzen eben nicht ausschließlich mehr die wichtigsten Weltenlenker am Tisch. Ein G9-Format mit China und Indien wäre da sicher sinnvoller.

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