Marine-Inspekteur „Die Gorch Fock ist ein nationales Symbol“

Interview | Rostock · Marine-Inspekteur Andreas Krause beklagt das Missverhältnis zwischen der Zahl der Schiffe und den Erwartungen an die Marine. Im Interview spricht er auch über das Leben an Bord in Zeiten der Pandemie, über die Gefahr der Weltkriegsmunition und über seine Erleichterung, dass die Gorch Fock bald wieder in See sticht.

 So soll es bald wieder aussehen: Die Gorch Fock 2007 vor Neufundland.

So soll es bald wieder aussehen: Die Gorch Fock 2007 vor Neufundland.

Foto: dpa/Marine

Wenn Schiffe nicht schwimmen, U-Boote nicht tauchen, Marineflieger nicht abheben – woran liegt das?

Krause Von einer ganz kurzen Phase abgesehen, sind unsere Schiffe geschwommen, sind die U-Boote getaucht und die Luftfahrzeuge geflogen. Es ist erstaunlich, dass sich diese Schlagzeilen immer noch halten, obwohl es sich auf einen kleinen Zeitraum im Jahr 2017 bezog. Unsere Männer und Frauen tun alles, um alle Aufträge zu erfüllen. Und bis zum heutigen Tag hat die Marine nicht einen einzigen Auftrag nicht erfüllen können.

Aber von einem befriedigenden Klarstand werden Sie wohl nicht sprechen? Woran liegt das?

Krause Wir haben die Marine über Jahrzehnte abgewirtschaftet und bei Neubeschaffungen darauf verzichtet, auch die erforderlichen Ersatzteile zu kaufen. Zum zweiten sind sowohl in der Marine als auch in der Industrie Personal und Kapazitäten abgebaut worden. Und wenn dann noch Pech dazukommt in Form einer Havarie oder Rissen in Heckrotoren, dann können wir bei U-Booten und Hubschraubern auch mal schlecht aussehen.

Inzwischen sind aber schon wieder Milliarden in die Marine investiert worden.

Krause Ja, aber wir erleben gerade, wenn es über so lange Zeit in die falsche Richtung gelaufen ist, wie lange es dauert, bis sich das Umsteuern bemerkbar macht. Seit 2016 orientieren wir uns wieder mehr an der Landes- und Bündnisverteidigung. Bis die Streitkräfte modernisiert sind, wird es sicherlich eine zweistellige Zahl von Jahren dauern. Die Marine hat einmal aus fast 200 schwimmenden und fliegenden Waffensystemen bestanden, wir sind heute unter 50 – also signifikant kleiner geworden.

Parallel zu Ihrer Verkleinerung hat sich die Zahl der Verpflichtungen vergrößert – kann das gelingen?

Krause Derzeit haben wir es mit einem klaren Missverhältnis zu tun. Wir haben zu wenig Schiffe und Boote, um sowohl die Einsätze im Rahmen des Krisenmanagements zu bedienen als auch die Interessen Deutschlands durch Präsenz zu zeigen. Einsatz, Ausbildung und Instandsetzung kriegen wir gerade hin, aber wir sind hier absolut auf den Rand genäht. Fällt eine Einheit aus, müssen wir damit auch das davon betroffene Vorhaben oder ein anderes streichen. Wir haben keinerlei Reserven.

Was macht das mit Ihren Soldaten?

Krause Mich treibt das um. Denn jede technisch bedingte Plan-Änderung hat Auswirkungen auf das Leben vieler Menschen. Wer zur Marine geht, weiß, dass er zur See fährt. Aber er möchte gerne wissen, wann er losfährt und wann er zurückkommt. Das muss auch die Familie verlässlich wissen. Wenn das aber nicht planbar ist, demotiviert das und macht den Beruf unattraktiv. Ich bin angetreten, das zu ändern.

Wie weit sind Sie damit gekommen?

Krause In einem großen Teil haben wir es mit dem Mehrbesatzungsmodell geschafft. Das heißt: Wir wechseln Besatzungen im Einsatz aus, ohne dass das Schiff sie zurückbringen muss. Etwa bei der Korvette vor der Küste des Libanons. Die Fregatte 125 ist das erste Schiff der Marine, das konzeptionell darauf ausgerichtet ist, dass wir mehr Besatzungen als Schiffe haben. Das Konzept kann natürlich erst seine volle Wirkung entfalten, wenn alle vier Fregatten in Dienst gestellt sind.

Ist denn auch die Industrie auf einem guten Weg, der Marine das wieder bieten zu können, was sie braucht?

Krause Das ist gar nicht so einfach. So klein die Marine auch ist, so besteht sie doch aus einer großen Bandbreite. Wir haben moderne Schiffe, wir haben aber auch Boote, die über 50 Jahre alt sind. Für manche gibt es einfach keine Ersatzteile auf dem Markt mehr. Die müssen dann neu für uns entwickelt und hergestellt werden. Bei den neuen Einheiten haben wir eine Komplettversorgung, da sind wir in einem guten Dialog.

Gorch Fock – was spielt sich in Ihrem Kopf ab, wenn Sie den Namen hören?

Krause Das war meine erste richtige Seefahrt. Und es gibt eine große Erleichterung, dass es gelungen ist, dieses Schiff zu erhalten. Sie können in München auf den Viktualienmarkt gehen und fragen: Was ist Marine? Sie bekommen zu hören: „Gorch Fock, das war doch mal auf dem Zehn-Mark-Schein.“ Die Gorch Fock ist ein nationales Symbol. Sie ist ein ganz wesentlicher Bestandteil unserer Identität und unserer Ausbildung. Wir bekommen ein völlig neues Schiff, das wie das alte aussieht.

Zuvor ging es von einem Millionenloch ins nächste - was ist das Wichtigste, das Sie aus dem Fiasko gelernt haben?

Krause Die Gorch Fock ist so wichtig für uns, dass wir uns eher die Zeit hätten nehmen müssen, sie mal intensiver anzuschauen. Das ist so wie mit einem Oldtimer, den sie täglich fahren und der irgendwann Öl verliert. Wenn Sie dann nicht zum Schrauber ihres Vertrauens gehen, sondern zur preiswertesten Werkstatt, dann können Sie auch eine Überraschung nach der nächsten erleben, je tiefer die Mechaniker in den Wagen reinschauen. Das lernen wir daraus: Gerade ältere Schiffe genauer zu betrachten, was genau mit ihnen los ist.

Marine – das steht, etwa in U-Booten, für Zusammenleben dicht an dicht. Wie wird man da mit einer Pandemie fertig?

Krause Beim Beginn der Pandemie befand sich zum Beispiel die Fregatte „Lübeck“ in einem multinationalen Verband. Wir haben der Besatzung nicht mehr erlaubt, an Land zu gehen. Das führte dazu, dass es auf der „Lübeck“, anders als auf anderen Schiffen des Verbandes, keine Corona-Fälle gab. Der wichtigste Schritt war: Jede Besatzung vor dem Auslaufen in Quarantäne zu nehmen und während des gesamten Einsatzes isoliert zu halten. Es kommt kein fremder Mensch an Bord. Kein Techniker, kein Inspekteur, keine Ministerin. Die Besatzung der „Berlin“ hat zum Beispiel 176 Tage das Schiff auch nicht verlassen können. Das ist eine hohe Belastung.

Und wenn es technische Pannen gibt?

Krause Auch dafür haben wir eine Lösung gefunden. Wir bauen eine Satellitenverbindung auf. Dann können die Experten des Marinearsenals von Wilhelmshaven aus die Live-Bilder von Bord betrachten und einen Schadensbefund mitsamt Reparaturempfehlungen abgeben. Wenn das dann gelingt, stärkt das auch das Selbstbewusstsein. So hat die Besatzung der „Berlin“ gelernt: Wir können mehr, als wir unter normalen Bedingungen dürfen.

Wer also „Zero Covid“ kennenlernen will, sollte Sie anrufen?

Krause Jedenfalls gab es keinen einzigen Auftrag, den wir nicht erfüllt haben. Natürlich haben wir Covid-Fälle in der Marine. Ende Januar mussten wir eine komplette Besatzung unter Quarantäne nehmen, weil bei einem Besetzungsmitglied Corona diagnostiziert worden war und die Infektionsketten nicht mehr nachverfolgt werden konnten. Aber wir hatten bisher keine vollkommen durchseuchte Besatzung.

Gibt es bei Berührungen mit der russischen Marine Klimaveränderungen an der Nordflanke seit der Krim-Annexion?

Krause Wir spüren: Die russische Marine ist sehr aktiv. Sie modernisiert sich. Natürlich beobachten wir die Aktivitäten der russischen Marine sehr genau, auch unter Wasser. Egal wo man auf diesem Planeten an Land unterwegs ist, man kann von Satelliten beobachtet werden. Unter Wasser ist das anders. Deshalb müssen wir auf die Aufklärung unter Wasser einen besonderen Schwerpunkt legen. Die Datenleitungen am Meeresgrund, das Funktionieren der Seewege – das ist von herausragender Bedeutung.

Immer wieder hören wir auch von anderen Gefahren in Nord- und Ostsee: Wie gefährlich sind Munitionsreste aus den Weltkriegen für Paddler, für Handels-, für Kriegsschiffe?

Krause Das sind tickende Zeitbomben. Da gab es ja schon Urlauber, die Bernstein gefunden zu haben glaubten – und Phosphor in den Händen hatten, der plötzlich zu brennen begann. Es empfiehlt sich also sehr, die Finger davon zu lassen. Es gibt noch immense Mengen von Munition vor den deutschen Küsten. Das Material ist hochgradig korrodiert. Die Sprengstoffe in den Bomben, Minen oder Torpedos sind zum Teil bereits auskristallisiert. Sie sind deswegen ausgesprochen empfindlich. Schon kleine Erschütterungen können ausreichen, um eine verheerende Detonation auszulösen. Die Munitionsreste in Nord- und Ostsee sind eine Gefahr - sowohl für die Umwelt, als auch für Leib und Leben sowie die Schifffahrt.

Sehen Sie eine Lösung für das Problem?

Krause Gerade weil diese Munitionsreste so instabil sind, bleibt in vielen Fällen nur das Sprengen. Jedenfalls so lange, bis es andere technische Lösungen gibt. Wir sind nicht sprengwütig, denn wir wissen um die Auswirkungen etwa auf Schweinswale. Aber manchmal ist es die einzige Möglichkeit zum Schutz der Menschen und der Schifffahrt. Wir arbeiten dabei eng mit den Kampfmittelbeseitigern der dafür zuständigen Bundesländer zusammen.

Wenn die Marine drei Wünsche frei hätte, welche wären das?

Krause So viel Geld zur Verfügung zu haben, dass die wichtigsten Rüstungsprojekte realisiert werden können. Da geht es nicht um Aufrüstung, sondern um aufgabengerechte Ausrüstung. In der sicherheitspolitischen Diskussion sollte das Maritime sichtbarer werden. Und zum dritten wünsche ich mir, dass die Marine auch in Zukunft genügend junge Menschen begeistern kann zur See zu fahren. Es lohnt sich, denn wir sind eine ganz tolle Truppe.

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