Vor dem Bund-Länder-Gipfel am Mittwoch Die Zeichen stehen auf Lockerung

Berlin · Trotz gestiegener Corona-Neuinfektionen wird der Ruf nach Öffnungen immer lauter. Gesundheitsminister Spahn mahnt zur Vorsicht.

Eine Mitarbeiterin eines Gartencenters in Bayern richtet Blumen für den Verkauf her. Derzeit laufen die Vorbereitungen für die Wiedereröffnung ab dem 1. März.

Eine Mitarbeiterin eines Gartencenters in Bayern richtet Blumen für den Verkauf her. Derzeit laufen die Vorbereitungen für die Wiedereröffnung ab dem 1. März.

Foto: dpa/Peter Kneffel

Die Corona-Zahlen steigen wieder. Trotzdem wird der Ruf nach einer Lockerung des Lockdowns lauter. Wie lässt sich das unter einen Hut bringen? Die Bundesregierung setzt auf Schnelltests und verstärkte Impfungen. Viele Bundesländer gehen bei der Öffnung allerdings eigene Wege, weshalb Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitag erneut zur Vorsicht mahnte.

Der Handel macht schon seit Tagen Druck, und auch in der Bevölkerung wird die Stimmung gereizter. Nach dem aktuellen ZDF-Politbarometer sagt eine Mehrheit von 56 Prozent, dass es jetzt mal genug sein muss mit den Restriktionen. Auch die Kanzlerin bekommt schlechte Noten. Wie das Institut YouGov herausfand, sprechen nur noch 43 Prozent der Bundesbürger Angela Merkel (CDU) ihr Vertrauen aus. Im April 2020 waren es noch 57 Prozent. Wohl auch unter diesem Eindruck vollzog Merkel eine bemerkenswerte Kehrtwende. Auf dem EU-Gipfel in Brüssel sagte sie: Es müsse geprüft werden, „ob wir uns durch ein vermehrtes Testen auch mit diesen Selbsttests einen Puffer erarbeiten können, sodass wir in der Inzidenz etwas höher gehen können als 35“.

Bislang schien die Marke von höchstens 35 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen politisch wie in Stein gemeißelt, ging die Debatte sogar in die entgegensetzte Richtung – hin zu einer Inzidenz von nur noch 20 oder zehn, um Infektionsketten besser nachverfolgen zu können. Am Freitag lag die Inzidenz bundesweit bei 62,6. Auch viele Bundesländer sind weit davon entfernt. Doch rücken nun auch andere Parameter in den Vordergrund. Spahn wies am Freitag darauf hin, dass die Zahl der Neuinfektionen bei den über 80-Jährigen dank der Impfungen stark rückläufig sei. Und der Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, stellte den rückläufigen Trend bei den Todesfällen heraus. Die Zahl der täglichen Corona-Neuinfektionen ist jedoch inzwischen wieder auf knapp 10 000 gestiegen – fast 900 mehr als sieben Tage davor. Ursache ist nach den Worten Wielers die britische Virusmutation B1.1.7. Sie sei „deutlich gefährlicher und zwar in allen Altersgruppen“. Gleichwohl habe das RKI schon im Dezember mit der Arbeit an einem Stufenplan für Lockerungen begonnen. In dem Konzept werden auch Kriterien wie die jeweils aktuelle Zahl der Intensivpatienten, die Impfquote und die Verbreitung neuer Virusvarianten geltend gemacht.

Allerdings könnte dieser Plan bereits überholt sein. Denn in den meisten Bundesländern wird der Ruf nach raschen Öffnungen immer lauter. So plädiert Baden-Württemberg dafür, mit Hilfe von Schnelltests die Fesseln im Einzelhandel, der Gastronomie sowie für Museen zu lockern. Die Schnelltests seien Teil der Öffnungsstrategie, stellte auch eine Sprecherin der Bundesregierung klar. Schon jetzt steht fest, dass im Südwesten, aber auch in Brandenburg, am Montag die Blumenläden und Gartencenter wieder aufmachen dürfen. Andere Länder verkünden weitere Öffnungen. Zur Erinnerung: Bei ihrem jüngsten Treffen am 10. Februar hatten Bund und Länder lediglich vereinbart, zum 1. März die Friseurläden aufzusperren.

Die Frage des Lockerungstempos dürfte bei der nächsten Bund-Länder-Schalte am Mittwoch eine Schlüsselrolle spielen. Spahn mahnte schon mal vorsorglich zu „größtmöglicher Umsicht und Vorsicht“. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach stieß ins gleiche Horn und wandte sich strikt gegen die Aufweichung der 35er-Inzidenz. „Bei allen möglichen Öffnungsmaßnahmen muss immer berücksichtigt werden, dass dieses Ziel bestehen bleibt. Anders lässt sich die dritte Pandemie-Welle nicht stoppen.“

 Während sich die Gartenbranche in einigen Bundesländern fleißig auf ihre Öffnung am Montag vorbereitet, pocht die nach wie vor geschlossene Gastronomie auf baldige Ausweitung der Lockerungen. Und nicht nur sie.

Während sich die Gartenbranche in einigen Bundesländern fleißig auf ihre Öffnung am Montag vorbereitet, pocht die nach wie vor geschlossene Gastronomie auf baldige Ausweitung der Lockerungen. Und nicht nur sie.

Foto: dpa/Urs Flueeler

Dagegen machten Wirtschaftsverbände am Freitag erneut Druck für Öffnungen und beklagten eine ungerechte Behandlung der Branchen. Kritik kam auch von der Opposition. „Wir brauchen eine seriöse Öffnungsperspektive“, sagte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch. „Die einseitige Orientierung auf eine niedrige Inzidenz kann ansonsten zwangsläufig zu einem Dauerlockdown führen.“

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