Genug Reserven für über 200 Jahre

Berlin · Europäische Gaskonzerne stoßen in die russische Lücke - Kritik am deutschen Energiemix.

Kurz bevor der EU-Gipfel morgen Vormittag in Brüssel darüber berät, wie man in der Energieversorgung unabhängiger von Russland werden kann, haben zwei große westeuropäische Gaskonzerne den Blick auf ihr Produkt gelenkt. "Wir haben die Ressourcen, brauchen aber politische Signale", erklärten der Chef des norwegischen Staatskonzerns Statoil, Helge Lund, und der deutschen BASF-Tochter Wintershall, Rainer Seele, am Dienstagabend in Berlin.

Beide Gas-Manager gaben Entwarnung für den Fall einer sich zuspitzenden Ukraine-Krise. Man sei auf den nächsten Winter vorbereitet. Als gegen Russland gerichtet wollten die beiden Konzernvertreter ihren Auftritt ausdrücklich nicht verstanden wissen. Langfristig müsse die Kooperation mit Russland weitergehen, sie sei auch zuverlässig. Allerdings will man offenbar die Gunst der Stunde nutzen. EU-Energiekommissar Günther Oettinger hatte erst am Sonntag gesagt, man müsse angesichts der Ukraine-Krise prüfen, ob andere Lieferanten mehr liefern könnten als bisher.

Wir können, lautete die Antwort von Wintershall und Statoil. Schon jetzt kämen 55 Prozent des in der EU verbrauchten Gases aus Europa selbst. Es gebe Reserven für über 200 Jahre, allein Norwegen könne Deutschland komplett 50 Jahre lang versorgen. Wintershall und Statoil kooperieren bereits eng bei der Ausbeutung der Nordsee-Felder und des skandinavischen Kontinentalsockels. "Es ist Zeit über die Chancen von mehr Gas zu reden", sagte Seele. Für weitere Milliarden-Investitionen benötige man aber stabilere Rahmenbedingungen. Und die fehlen den Managern in der deutschen Energiepolitik.

Seele kritisierte, dass hierzulande Gaskraftwerke stillgelegt würden, statt neue zu bauen. Er verlangte, zu den ursprünglichen Zielen der Energiewende, dem Absenken des CO2-Ausstoßes, zurückzukehren. "Es geht doch nicht darum, möglichst viele Windräder zu haben". Lund meinte, dass sich Deutschland ein sehr teures Energiesystem leiste, aber gleichzeitig immer mehr CO2 produziere. Grund sei die zunehmende Verfeuerung von Kohle.

Die neue Technik Fracking, das Aufbrechen von Gaslagerstätten mit Hilfe eingepumpter Chemikalien, sehen beide Konzerne verhalten positiv. Lund sagte, Fracking werde wegen der Bevölkerungsdichte in Europa keine so große Bedeutung haben wie in den USA. Seele verlangte, die Technik für vorhandene Förderstätten (konventionelles Fracking) in Deutschland zuzulassen. Betroffen wäre vor allem Niedersachsen. Die rot-grüne Landesregierung in Hannover will das Verfahren erlauben. Auf Bundesebene arbeitet Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) derzeit an einem Gesetz, jedoch gibt es erhebliche Widerstände auch in der Koalition. Auf das besonders umstrittene "unkonventionelle Fracking" in bisher nicht ausgebeuteten Schieferschichten setzt Wintershall nach Seeles Worten nicht, fordert aber, dass die Erforschung solcher Lagerstätten gestattet wird. Klar sei, sagte Seele, dass man für Fracking in Deutschland einen offenen Dialog und eine breitere Akzeptanz brauche.

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