Finanzminister verpasst wegen Sondersitzung Wahlkampfauftritte Olaf Scholz im Finanzausschuss - wie gefährlich sind die Vorwürfe für ihn?

Berlin · Seit Staatsanwälte das Finanzministerium durchsuchten, versuchen Union und Opposition Olaf Scholz aus der Zollaffäre einen Strick zu drehen. Jetzt lud der Finanzausschuss den SPD-Kanzlerkandidaten mitten im Wahlkampf vor. Doch der Finanzminister schafft es, seine Widersacher ein Stück weit zu überrumpeln.

Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz nach der Sitzung des Finanzausschusses.

Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz nach der Sitzung des Finanzausschusses.

Foto: dpa/Carsten Koall

Um 09.58 Uhr schlägt Olaf Scholz seinen Verfolgern ein Schnippchen. Gerade sind die FDP-Politiker Markus Herbrand und Florian Toncar vor dem Sitzungssaal E 400 im Berliner Paul-Löbe-Haus (ein Nebengebäude des Bundestags) dabei, sich über die Nichtanwesenheit des vermeintlich im Südwesten der Republik wahlkämpfenden Bundesfinanzministers zu echauffieren („Wer Respekt plakatiert, muss das auch gegenüber dem Parlament leben“), da trippeln Schritte die Freitreppe ins Erdgeschoss herunter.

Scholz marschiert, von Oppositionspolitikern und Kamerateams unbemerkt, mit seinem Sprecher und Sicherheitsbeamten durch einen Nebeneingang in den Sitzungssaal. Dem Sozialdemokraten gelingt damit ein kleiner Überraschungscoup. Mit seiner unerwarteten Präsenz nimmt der SPD-Kanzlerkandidat seinen Kritikern im Ausschuss sofort Wind aus den Segeln. Angekündigt war, dass Scholz nur per Video zugeschaltet werden sollte, weil er in Baden-Württemberg Wahlkampfauftritte fest gebucht hatte. Ein Teil davon fällt am Montag aus. Dafür hat sich Scholz vor dem Parlament keine Blöße gegeben – auch wenn Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet das anders sieht. Es sei zwar gut, dass Scholz im Finanzausschuss erschienen sei. Aber: „Überhaupt zu erwägen, nicht da zu sein, war eine Schwächung des Parlaments.“

Im Ausschuss selbst hält Scholz einen etwa 40-minütigen Vortrag zu den Vorwürfen um verschlampte Geldwäscheermittlungen, die schon im zweiten Triell für Aufregung und im politischen Berlin für schwere Verwerfungen zwischen den Noch-Koalitionspartnern Union und SPD gesorgt haben. Weil die Staatsanwaltschaft Osnabrück kurz vor der Wahl die SPD-geführten Bundesministerien für Finanzen und Justiz durchsuchen ließ, wittern die Genossen ein Justizkomplott. Der federführende Osnabrücker Staatsanwalt ist CDU-Parteimitglied und war früher in der niedersächsischen Kommunalpolitik aktiv.

Scholz baut wie im Triell seine bekannte Verteidigungslinie auf. Er habe die Anti-Geldwäsche-Einheit FIU von 160 auf 500 Mitarbeiter aufgestockt (es sollen 700 werden). Die Behörde verfüge jetzt über modernste IT, die Zahl der Geldwäsche-Verdachtsfälle habe sich auf 150.000 verdreifacht, seit das Geldwäsche-Bekämpfungsgesetz verschärft worden sei, sagt Scholz. Das ist jedoch nicht das, was die Abgeordneten von ihm hören wollen.

In der Sitzung sind alle Fraktionen - außer die der SPD - im Angriffsmodus. Scholz soll erklären, seit wann er von dem staatsanwaltlichen Verfahren gegen einzelne FIU-Mitarbeiter wusste, gegen wie viele Personen ermittelt werde, welche Kontakte es zwischen dem Finanzministerium und der FIU gegeben habe, wie viele Geldwäsche-Verdachtsfälle bei der FIU mit welchem Transaktionsvolumen eingegangen seien. Doch Scholz verweist immer wieder auf die laufenden Ermittlungsverfahren, aus denen er nicht berichten dürfe.

„Scholz hat alle Fragen wie immer gescholzt, nämlich zerredet – und sich hinter den Ermittlungsbehörden verschanzt“, schimpft CSU-Urgestein Hans Michelbach. Die Abgeordneten erfahren immerhin, dass der Minister den Chef der Anti-Geldwäsche-Behörde FIU, Christof Schulte, noch nie persönlich getroffen hat. Scholz hat die FIU auch noch nie besucht – ein Versäumnis, das der AfD-Politiker Kay Gottschalk hinterher so kommentiert: „Das gehört zu Scholz´ Vermeidungstaktik. Er will keine Fehler begehen. Wenn aber nur Fehlervermeidung der Maßstab ist, dann kann er dieses Land nicht als Bundeskanzler führen.“

Doch den Finanzausschuss beschäftigt vor allem der so genannte „risikobasierte Ansatz“ bei der FIU. Dieses Verfahren steht auch im Geldwäschegesetz: Demnach müssen die FIU-Mitarbeiter nur die Hinweise auf Geldwäsche an die Strafverfolgungsbehörden weiterleiten, die ihrer Ansicht nach zu einer Strafverfolgung führen können. Die Staatsanwältin, die im Fall des kollabierten Ex-Dax-Konzerns Wirecard ermittelt, berichtet im Ausschuss, wegen des umstrittenen Verfahrens seien von 34 stichhaltigen Hinweisen auf Geldwäsche bei Wirecard nur zwei weitergeleitet worden – ein folgenreiches Versäumnis. Union und Oppositionsparteien weisen Scholz die Verantwortung zu, dass der problematische Filter bei der Weitergabe von wichtigen Hinweisen nicht längst geändert worden ist.

Nach rund drei Stunden ist Scholz vorläufig durch mit der Sache. Diesmal kommt er aus dem Hauptausgang des Sitzungssaals im Paul-Löbe-Haus. „Die letzten drei Jahre waren die besten im Hinblick auf die Geldwäsche-Bekämpfung, da haben wir mehr hingekriegt als in den letzten 30 Jahren“, sagt Scholz in die Kameras. Er betet nochmals herunter, was er alles getan habe, um die Anti-Geldwäsche-Einheit zu stärken. Mit FIU-Chef Schulte gebe es eine „sehr enge Zusammenarbeit“, entgegnet er auf die Frage, warum er den Behördenchef noch nie gesehen habe.

Nun will der Kanzlerkandidat schnell zu einem SPD-Termin in Baden-Württemberg fliegen, damit dieser Wahlkampftag für ihn nicht komplett verloren geht. Aber bevor Scholz das Gebäude verlässt, wird er noch gefragt, warum er durch den Hintereingang in den Ausschuss gekommen sei. „Ich bin durch den Eingang gekommen, der auf meinem Weg der nächste war“, sagt Scholz und grinst.

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