Eine wackelige Machtbasis

Jerusalem · 61 von 120 Sitzen brauchte Netanjahu für seine Koalition. Dieses Minimum erreicht er – die rechts-religiöse Regierung steht. Doch was wird aus dem Friedensprozess mit den Palästinensern?

Es war ein Polit-Krimi mit Überlänge: Um Mitternacht lief in Israel die Frist zur Regierungsbildung ab. Doch zwei Stunden vorher hatten sich die Beteiligten noch immer nicht geeinigt. Erst gegen 22.30 Uhr israelischer Zeit kam die offizielle Bestätigung: Israels Regierung steht.

Naftali Bennett, Vorsitzender der Siedlerpartei, gab seinen Eintritt in die Koalition bekannt - als letzter von fünf Koalitionspartnern. Zuvor hatten bereits die Partei Kulanu und die beiden religiösen Parteien Vereinigtes Tora-Judentum und Schas eine Koalition mit dem Likud zugesagt.

61 von 120 Mandaten brauchte Netanjahu mindestens, um eine Regierung aufzustellen. Und 61 von 120 Mandaten hat er am Ende zusammenbekommen. Ein riskantes Unterfangen, denn jeder Abgeordnete kann die Regierung nun zu Fall bringen.

Netanjahu weiß das. "61 (von 120 Abgeordneten) sind gut, aber mehr als 61 sind noch besser", sagte er am Mittwochabend. Am Tag der Regierungsbildung konzentrierten sich seine Anstrengungen deshalb darauf, weitere Parteien oder einzelne Abgeordnete mit ins Boot zu holen. Ausgerechnet die Mitte-Links-Opposition sollte seinem Wunsch zufolge die Machtbasis stärken.

Ein hochrangiges Mitglied seiner Likud-Partei sagte dem israelischen Radio gestern, Netanjahu halte den Posten des Außenministers noch immer frei - in der Hoffnung, ihn an Oppositionsführer Izchak Herzog vergeben zu können. Doch Herzog wiegelte ab: "Wir haben nicht vor, Netanjahu aus der Grube zu retten, die er sich selbst gegraben hat", sagte Herzog. Innenpolitisch stehen Netanjahu also schwere Zeiten bevor. Und auch in der Außenpolitik wird Israel es in Zukunft nicht leicht haben. Denn die neue Koalition ist so rechts, religiös und nationalistisch, wie es seit Jahrzehnten keine israelische Regierung mehr war.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier nahm Netanjahu sofort für die Umsetzung der Zwei-Staatenlösung in die Pflicht. Nachhaltige Sicherheit für Israel werde es nicht ohne einen lebensfähigen und demokratischen palästinensischen Staat geben, sagte er gestern im Bundestag aus Anlass der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Ländern vor 50 Jahren. Der Likud-Chef Netanjahu gilt selbst als politischer Hardliner: Hatte er sich offiziell stets für die Zwei-Staatenlösung, also die Schaffung eines demilitarisierten und in Frieden neben Israel lebenden Palästinenserstaates, ausgesprochen, wollte er kurz vor der Wahl am 17. März plötzlich nichts mehr davon wissen. Gleich nach der Wahl nahm er diese Äußerungen zurück - doch das Vertrauen in seinen guten Willen ist endgültig beschädigt.

Einige seiner Koalitionspartner sind jedoch noch kompromissloser als Netanjahu. Bennett fordert eine Annektierung von Teilen des palästinensischen Westjordanlands. Mit diesen Akteuren erscheinen Verhandlungen mit den Palästinensern beinahe unmöglich. Schon vor der Regierungsbildung hatten deutsche und europäische Außenpolitiker daher gefordert, Israel durch mehr Druck zu einer Friedenslösung zu bewegen.

Auch die Palästinenser sind alarmiert. Es sei eine "Regierung der Siedler", die gegen Frieden und die Zwei-Staaten-Lösung sei, sagte der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat.

Meinung:

Praktisch regierungsunfähig

Von SZ-MitarbeiterinSusanne Knaul

Von einer stabilen Regierung mit treuen Partnern träumte Netanjahu, als er vorgezogene Neuwahlen einberief. Jetzt steht er vor einer Koalition, die praktisch regierungsunfähig ist. Jeder Einzelne der vier Partner ist Zünglein an der Waage. Die Regierung zieht in außenpolitischen Fragen an einem Strang. Niemand will Friedensverhandlungen. Stattdessen werden mehr Häuser für die Siedler gebaut. Der eine will politische Tatsachen schaffen, der andere sein Wahlversprechen für billigen Wohnraum einlösen. Dass die Partner innenpolitisch unterschiedliche Ziele verfolgen, dürfte Netanjahu bei der Haushaltsdebatte zum Verhängnis werden. Es allen Recht zu machen, wird ihm kaum gelingen. Ob die Koalition schon bald oder erst später zerbricht, spielt keine Rolle. An den heutigen Machtverhältnissen wird sich vorerst nichts ändern.

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