Durchbruch im regierungslosen Belgien

Brüssel. Ins Guinness-Buch der Rekorde haben es die Belgier schon geschafft: Seit 485 Tagen lebt das Land ohne Regierung, nur mit einer geschäftsführenden Mannschaft als Verwalter. Länger als der Irak oder manch schwarzafrikanische Bananen-Republik. Doch nun gibt es Hoffnung. In der Nacht zum Donnerstag schafften die acht potenziellen Koalitionspartner endlich einen Durchbruch

 Elio di Rupo, der Chef der wallonischen Sozialdemokraten, könnte in Belgien Kabinettschef werden. Foto: Dirk Waem/dpa

Elio di Rupo, der Chef der wallonischen Sozialdemokraten, könnte in Belgien Kabinettschef werden. Foto: Dirk Waem/dpa

Brüssel. Ins Guinness-Buch der Rekorde haben es die Belgier schon geschafft: Seit 485 Tagen lebt das Land ohne Regierung, nur mit einer geschäftsführenden Mannschaft als Verwalter. Länger als der Irak oder manch schwarzafrikanische Bananen-Republik. Doch nun gibt es Hoffnung. In der Nacht zum Donnerstag schafften die acht potenziellen Koalitionspartner endlich einen Durchbruch. Gut 15 Monate nach der letzten Wahl erscheint es tatsächlich nicht mehr ausgeschlossen, dass es ein Kabinett inklusive arbeitsfähiger Mehrheit geben wird. An deren Spitze dürfte dann Elio di Rupo (Foto: afp) stehen, der Chef der wallonischen Sozialdemokraten. Ihm gelang es in endlosen Nachtsitzungen, das jahrelang ungelöste Problem des Wahlbezirkes rund um die Hauptstadtregion Brüssel zu lösen.Während die Französisch sprechenden Wallonen bei Wahlen nur frankophone Listen und die Niederländisch sprechenden Flamen lediglich flämische Politiker wählen können, genießen die Bewohner des Hauptstadtwahlbezirks von Brüssel, Halle und Vilvoorde ein Sonderrecht: Sie können wählen, wen sie wollen. Da die Hauptstadt samt Umland größtenteils aber auf flämischen Boden liegt, pochten deren Einwohner auf eine Wahlrechtsreform. Das höchste Gericht ordnete sie an, seither wurde gestritten.

Nun fand man einen Kompromiss, der ein wenig typisch belgisch ist: Von den insgesamt betroffenen 35 Gemeinden dürfen 29 künftig nur noch flämisch wählen. In den übrigen sechs bekommen die überwiegend frankophonen Einwohner das Recht, wallonische Kandidatinnen und Kandidaten zu bestimmen, die übrigen flämischen Einwohner dürfen wiederum nur eigene Landsleute in ein politisches Amt hieven. Das klingt kompliziert, ist es in der Praxis wohl auch. Vor allem aber löst der Kompromiss keineswegs alle Fragen, die die Christdemokraten, Sozialisten und Liberale aus den beiden Landesteilen sowie die Grünen noch vor sich haben. Dazu zählt beispielsweise die seit über zwei Jahren ausstehende Bestätigung dreier Bürgermeister flämischer Brüssel-Vororte, die im Wahlkampf französische Flugzettel hatten verteilen lassen.

Dieser politische Sprachenstreit hat aber wenig mit Lokalkolorit zu tun. Im Hintergrund toben handfeste Verteilungskämpfe. Das ökonomisch starke Flandern rund um Antwerpen will nicht länger die wirtschaftlich rückständige Wallonie mit Zuschüssen von rund zehn Milliarden pro Jahr unterstützen. Vor allem der eigentliche Wahlsieger des letzten Urnengangs, die nationalistisch ausgerichtete Neue Flämische Allianz (NV-A) und ihr Vorsitzender Bart de Wever, plädieren für ein autonomes Flandern, die frankophonen Süd-Belgier fürchten um ihre Überlebenshilfe und wollen deshalb am föderalen Staat festhalten.

Der jetzige Kompromiss ist vor allem deswegen gefährlich, weil de Wever daran nicht beteiligt war. Zwar kann der bullige Politiker selbst nicht Regierungschef werden (dazu muss eine Partei in allen Landesteilen vertreten sein), aber er kann die noch fragile Allianz der acht potenziellen Koalitionspartner gehörig in Schwierigkeiten bringen.

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