Lebensmittelknappheit nach Protesten in Beirut Die Libanesen halten in der Krise zusammen

Beirut · Fast wäre er ausgewandert – so wie unzählige seiner Landsleute, die im Libanon keine Perspektive mehr sehen. Doch die Demonstrationen gegen die Regierung hätten ihn nun zum Bleiben bewegt, sagt Mohammed Schkeir.

 Seit Wochen kommt der Libanon nicht zur Ruhe. Hier besetzen  Demonstranten die Schalter einer Beiruter BLC-Bankfiliale.

Seit Wochen kommt der Libanon nicht zur Ruhe. Hier besetzen  Demonstranten die Schalter einer Beiruter BLC-Bankfiliale.

Foto: dpa/Maya Alleruzzo

Denn eines sei in den vergangenen Wochen deutlich geworden: So sehr das Land von Spannungen zwischen religiösen Gruppen gezeichnet sei, so sehr sei die Bevölkerung in ihrer Wut gegen das politische System und gegen die Machtelite vereint.

Wie gravierend die wirtschaftliche Lage geworden ist, zeigte sich kürzlich an Berichten über den Selbstmord eines zweifachen Vaters. Als kurz darauf auch ein Mitglied einer Whatsapp-Gruppe von Schkeir sagte, er wolle sich umbringen, weil er seine Familie nicht mehr ernähren könne, war der 23-Jährige alarmiert. Gemeinsam mit einigen Freunden warb er um Spenden.

Die Protestbewegung, die eine komplette Neuordnung des politischen Systems im Libanon ohne die korrupte Elite und die Einsetzung einer Expertenregierung fordert, ist bereits in ihrem dritten Monat. Die Probleme des Landes haben sich derweil verschärft. Gehaltskürzungen sind an der Tagesordnung, Entlassungen werden immer häufiger, Banken geben nur noch begrenzt Bargeld heraus und die Preise für viele Alltagsgüter steigen rasant. Die Euphorie, von der die ersten großen Demonstrationen im Oktober geprägt waren, ist verflogen. Lösungen sind bisher keine in Sicht. Die meisten Politiker scheinen sich eher zu verschanzen, als die Forderungen aus der Bevölkerung nach einem Wandel aufzugreifen. Viele Libanesen tun daher das, was sie in den vergangenen Krisen gelernt haben: Sie verlassen sich nicht auf den Staat, sondern aufeinander. „Es ist so weit gekommen, dass die Leute nicht mehr in der Lage sind, Essen für ihre Kinder zu kaufen oder ihre Miete zu bezahlen“, sagt Schkeir. Den Bekannten aus der Whatsapp-Gruppe hätten er und die anderen schließlich überreden können, sich doch nicht umzubringen. Die Gruppe, die ansonsten vor allem zur Organisation von Protest-Aktionen genutzt worden sei, diene inzwischen auch als Plattform zur Spendensammlung. Insgesamt seien im Dezember schon 58 Familien mit Geld, Nahrung, Kleidung und sonstigen Vorräten unterstützt worden.

Schon in den vergangenen paar Jahren waren mehr und mehr Menschen von Unterstützung durch Kirchen, Moscheen und wohltätige Verbände abhängig gewesen. Die jüngsten Proteste haben dazu geführt, dass sich neue Initiativen gegründet haben. Viele Geschäfte gewähren Rabatte oder stellen Kisten zur Sammlung von Geld und Kleidung auf. Einige Bäckereien und Restaurants bieten Brot und anderes Essen bei Bedarf auch kostenlos an. In Fernsehspots wurde dazu aufgerufen, Spendenpakete statt Reisekoffer zu packen – Libanesen in der Diaspora wurden gebeten, die Heimat zu besuchen und dabei „Medikamente, Kleidung und andere Dinge“ mitzubringen. 

Auf den Plätzen im Herzen von Beirut, auf denen die großen Demonstrationen stattfinden, haben sich zugleich Sammel- und Ausgabestellen für Altkleider etabliert. Die 21-jährige Rim Madschid backt auf einem der Plätze Fladenbrot, das sie vor Ort kostenlos verteilt. Probleme habe es schon immer gegeben, sagt sie. „Aber jetzt haben wir eine Krise, die sich nur noch verschlimmern wird.“ Nach Ansicht des 23-jährigen Schkeir steht der Geist der gegenseitigen Hilfe zugleich für die Grundsätze der aktuellen Proteste. Bei seiner eigenen Spendenkampagne werde genau darauf geachtet, dass die Unterstützung auch konfessionelle Gräben überwinde. Die Mitglieder seiner Gruppe würden aus christlichen, sunnitischen und schiitischen Gebieten stammen. Ihm sei dank der Proteste klar geworden, sagt Schkeir, dass der einzig richtige Ort für ihn die Heimat sei. „Basis unserer Beziehungen sind Mitmenschlichkeit und nationale Einheit.“

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