Deutsche Waffen gegen „Barbarei“

Berlin · Deutsche Waffen in ein Kriegsgebiet – bislang ein Tabu. Wegen der „Barbarei“ der Terrormiliz IS will die Bundesregierung nun eine Ausnahme machen. Heute stimmt das Parlament symbolisch darüber ab.

Deutschland liefert zum Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in großem Umfang Waffen in den Irak - darunter auch 500 Panzerabwehrraketen sowie mehrere tausend Gewehre. Mit den Rüstungsexporten sollen die Kurden im Norden des Landes ausgerüstet werden. Die Waffenliste wurde gestern Abend von einer Ministerrunde unter Leitung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU ) beschlossen. Der Gesamtwert der Waffenlieferung beträgt etwa 70 Millionen Euro. Den Einsatz deutscher Kampftruppen schließt die Bundesregierung strikt aus.

Nach Angaben von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen soll bis Ende September ein Großverband von 4000 Soldaten ausgestattet werden. "Die Lage im Irak ist äußerst kritisch", sagte die CDU-Politikerin. Der IS warf sie "gnadenlose Brutalität" vor. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD ) sagte: "Unsere Hilfe für den Irak und unser Vorgehen gegen IS fangen nicht mit Waffenlieferungen an und hören nicht mit Waffenlieferungen auf."

Im Einzelnen beschloss die Ministerrunde unter anderem die Lieferung von 30 Panzerabwehrwaffen vom Typ Milan mit insgesamt 500 Raketen sowie jeweils 8000 Sturmgewehre vom Typ G3 und G36. Auf der Liste stehen auch 40 Maschinengewehre. Zusätzlich stellt die Bundesregierung nochmals 50 Millionen Euro an humanitärer Hilfe bereit. Die Ausbildung der Kurden an den Waffen soll in Deutschland stattfinden. "Wenn dies nicht praktikabel ist, dann im Raum (der Kurdenhauptstadt) Erbil oder in einem Drittstaat", heißt es in dem Beschluss. Beteiligt waren auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD ), Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU ) sowie Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU ) und CSU-Chef Horst Seehofer .

Bislang waren solche Waffenlieferungen in Krisengebiete für die deutsche Außenpolitik tabu. Der Sinneswandel wird nun mit dem "barbarischen" Vorgehen der Islamisten begründet sowie der Gefahr, dass IS-Kämpfer auch in Deutschland Anschläge verüben. Merkel will die neue deutsche Haltung heute in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag erläutern. Im Parlament wird eine klare Mehrheit für die Waffenlieferungen erwartet. Die große Koalition aus Union und SPD ist dafür. Die Linke und wohl auch die Mehrheit der Grünen-Fraktion will dagegen stimmen. Die Abstimmung hat aber nur symbolische Bedeutung - ein echtes Mitspracherecht haben die Abgeordneten nicht. Möglicherweise wird sich aber das Bundesverfassungsgericht damit befassen.

Über die Parteigrenzen hinweg gibt es die Befürchtung, dass die Waffen in falsche Hände gelangen könnten. Auch die Bundesregierung ist sich des Risikos bewusst. Steinmeier will deshalb dafür Sorge tragen, dass in Kurdistan keine Waffenlager angelegt werden. In Erbil sind schon die ersten sechs Bundeswehr-Soldaten vor Ort, um die Verteilung zu organisieren. Auch mehrere andere Staaten haben sich entschlossen, den Kampf gegen die IS mit Waffen zu unterstützen. Die USA und der Iran versorgen die Kurden bereits seit längerer Zeit. Innerhalb der EU haben Frankreich, Großbritannien und Italien entsprechende Beschlüsse gefasst.

Die irakischen Streitkräfte haben den Belagerungsring um die Kleinstadt Amerli durchbrochen und dem Islamischen Staat (IS) damit eine seltene Niederlage zugefügt. Mit der Unterstützung von tausenden Milizionären und US-Luftangriffen kam die Armee gestern den rund 20 000 Einwohnern zuhilfe, die wochenlang von Dschihadisten eingekesselt gewesen waren. Der irakische General Kassem Atta sagte, die radikalsunnitischen Dschihadisten seien aus den Dörfern rings um Amerli verjagt worden. Ein Behördenvertreter und ein Kämpfer vor Ort bestätigten seine Angaben. Später sagte Atta im irakischen Staatsfernsehen, dass die Gefechte in der Region aber weiter andauerten. Der Golf-Kooperationsrat verurteilt unterdessen die Gräueltaten all jener, "die den Islam als Vorwand zum Morden und Vertreiben nehmen". Dem Rat gehören Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait, Katar, Bahrain und der Oman an. Mehreren dieser Länder wird vorgeworfen, Extremistengruppen im Irak und in Syrien zu unterstützen.

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