Rückzug oder Strafe

Brüssel · Innerhalb einer Woche will die EU über empfindliche Sanktionen gegen Russland entscheiden. Die Kommission soll Vorschläge ausarbeiten. Es sei denn, Kremlchef Putin setzt im Ukraine-Konflikt auf Entspannungskurs.

Sie sind nicht gerade das Traumpaar der europäischen Politik. Aber beide haben am Wochenende den Absprung aus ihren nationalen Regierungsämtern auf die Bühne der internationalen Politik geschafft: der konservative polnische Regierungschef Donald Tusk (57) beerbt Ratspräsident Herman Van Rompuy . Und Italiens sozialdemokratische Außenministerin Federica Mogherini (41) ersetzt die ausscheidende Hohe Beauftragte der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, die Britin Lady Catherine Ashton . Er ist ein enger Vertrauter der deutschen Kanzlerin, sie die Hoffnungsträgerin des französischen Präsidenten François Hollande . Er ein Konservativer, sie eine Sozialdemokratin. Er ein Vertreter des Ostens, sie der überschuldeten südlichen Staaten.

Ein Mann, eine Frau - da kann man leicht auf den Gedanken kommen, beide seien eher wegen des Proporzes in ihre Ämter gehievt worden, denn aus Gründen der Qualifikation. Dabei bemühte sich vor allem Donald Tusk schon in der Nacht zum Sonntag, bestehende Vorurteile auszuräumen. "Keine Sorge, ich werde mein Englisch aufpolieren und im Dezember zu 100 Prozent bereit sein", erklärte er lächelnd den Journalisten - noch auf polnisch. Denn außer ein paar Brocken Deutsch beherrscht der verheiratete Vater eines Sohnes und einer Tochter keine Fremdsprachen - undenkbar an der Spitze des Europäischen Rates, also des Kreises der Staats- und Regierungschefs , die er ab Dezember auch auf internationaler Ebene vertreten soll.

Tusk kennt das Leben unter dem Kommunismus. Noch vor der Wende in Polen arbeitete er als Maler, später als Journalist für eine Zeitung der polnischen Solidarnosc-Bewegung. 2005 scheiterte er noch bei den Präsidentenwahlen, 2007 schaffte er den Durchbruch, 2011 wurde er wiedergewählt. Dass man einen Polen mitten in der Ukraine-Krise mit einem der EU-Topjobs adelt, ist ein Signal. Dabei muss der Fußballfan Tusk noch einiges lernen - dazu zählt auch die Kunst, als Politiker aus dem Nicht-Euro-Land Polen die Eurogruppe der Staats- und Regierungschefs zu leiten.

Auch Federica Mogherini dürfte auf dem glatten Brüsseler Parket noch das Gehen lernen müssen. Die 41-jährige Sozialdemokratin wurde erst im Februar von Ministerpräsident Matteo Renzi zur Außenministerin Italiens berufen. Konservative warfen ihr in den vergangenen Monaten immer wieder eine zu große Nähe zu Moskau vor. Dabei begann die verheiratete Mutter zweier Töchter ihre politische Laufbahn als Außenpolitikerin der Linksdemokraten, die enge Beziehungen zu den US-amerikanischen Parteifreunden pflegte. In Brüssel traut ihr derzeit noch niemand zu, den "Lawrow-Test" zu bestehen - so nennen EU- Experten die Fähigkeit, eine mehrstündige, hitzige Diskussion mit Russlands unbequemem Außenminister Sergej Lawrow erfolgreich zu überleben. Und ob die Tochter eines italienischen Regisseurs den Auswärtigen Dienst der EU mit 3400 Mitarbeitern und einem Jahresetat von 800 Millionen Euro zielsicher lenken kann, muss sie wohl auch noch beweisen.

Noch sind die beiden aber nicht im Amt. Während Tusk mit der Benennung durch den Gipfel seines Amtes sicher sein kann, muss Mogherini erst noch ein anspruchsvolles Bewerbungsverfahren absolvieren. Da sie zugleich Mitglied der Kommission sein wird, hat sie sich einer mehrstündigen Anhörung des EU-Parlamentes zu stellen - das sie durchwinken oder ablehnen kann.

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HintergrundIn Russland ist der Oppositionspolitiker Lew Schlosberg gestern nach Recherchen zum Ukraine-Einsatz von Unbekannten verprügelt worden. Er musste mit Kopf- und Augenverletzungen sowie einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus eingeliefert werden. Tage zuvor untersuchte er den Tod von hundert russischen Soldaten bei Kämpfen in der Ostukraine. Prorussische Separatisten haben gestern 223 Regierungssoldaten aus ihrer Gewalt entlassen. Derweil versuchten hunderte Angehörige der Nationalgarde vergeblich, aus der Belagerung der kremltreuen Truppen nahe Donezk auszubrechen. Kiew bestätigte die Meldungen nicht. Vor dem Nato-Gipfel am Donnerstag forderten mehrere Mitgliedstaaten wegen der russischen Intervention in der Ukraine die Nato-Russland-Gründungsakte zu kündigen. Diese legt der Nato Beschränkungen bei der Stationierung von Truppen auf dem Gebiet des früheren Ostblocks auf. dpa/afp

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