"Derzeit ist Kroatien nicht beitrittsfähig"

Hat Sie der Bericht der EU-Kommission zu Kroatien überrascht?Krichbaum: Ja, dass die Kritikpunkte eine solche Breite von Problemen umfassen, hatte ich so nicht erwartet. Das reicht von Mängeln der Verwaltung über Schwächen des Justizsystems bis zur nicht ausreichenden Entschlossenheit bei der Bekämpfung der Korruption

Hat Sie der Bericht der EU-Kommission zu Kroatien überrascht?Krichbaum: Ja, dass die Kritikpunkte eine solche Breite von Problemen umfassen, hatte ich so nicht erwartet. Das reicht von Mängeln der Verwaltung über Schwächen des Justizsystems bis zur nicht ausreichenden Entschlossenheit bei der Bekämpfung der Korruption. Kroatien hat offenbar die Zeit nicht ausreichend genutzt, um hier zu entscheidenden Verbesserungen zu kommen. Bis zum 1. Juli 2013 hat Zagreb nun viel zu tun, um die Beitrittsreife des Landes auch tatsächlich herzustellen. Das Reformtempo muss deutlich erhöht werden.

Aber der Beitrittstermin steht?

Krichbaum: Es liegt an Kroatien selbst, die Voraussetzungen für den Beitritt 2013 zu erfüllen. Wir möchten, dass das gelingt, dafür haben wir Europapolitiker viele Jahre gearbeitet. Deutschland hat das Land intensiv auf seinem Weg unterstützt. Aber ich sage auch klar: Zum jetzigen Zeitpunkt ist das Land nicht beitrittsfähig. Wenn nicht erhebliche Anstrengungen unternommen werden und Fortschritte zu verzeichnen sind, wird es bei den Ratifizierungsverfahren in den nationalen Parlamenten Schwierigkeiten geben, und zwar nicht nur in Deutschland. Kroatien muss in die Hände spucken.

Das Bundeskabinett hat dem Beitritt samt Termin schon im August zugestimmt. War das verfrüht?

Krichbaum: Nein, denn dieser Kabinettsbeschluss bildete ja nur den Startschuss für die parlamentarischen Beratungen und war deshalb nach dem ursprünglichen Zeitplan notwendig. Noch gehen wir ja vom abgesprochenen Beitrittstermin aus. Deshalb wird es auch dabei bleiben, dass der Bundesrat am heutigen Freitag in erster Lesung darüber diskutiert, der Bundestag am 8. November. Ob aber Bundestag und Bundesrat im Frühjahr nächsten Jahres tatsächlich wie geplant dem Beitritt Kroatiens abschließend zustimmen können, hängt von den Fortschritten des Landes ab. Es gibt für Zagreb keine unumstößliche Garantie, dass es beim 1. Juli 2013 bleibt. Das muss Kroatien bewusst sein.

Ist man, siehe Griechenland, in Europa zu schnell dabei mit neuen Aufnahmen und Erweiterungen?

Krichbaum: Die Erweiterungspolitik ist grundsätzlich richtig. In der Vergangenheit war man aber bei einzelnen Ländern zu großzügig. Heute ist klarer denn je: Es darf keine politischen Rabatte geben, die Beitrittskriterien müssen von allen eingehalten werden. Besonders bei rechtsstaatlichen Prinzipien darf es keine Kompromisse geben. Die Europäische Union ist auch eine Werteunion. Das siebenjährige Beitrittsverfahren mit Kroatien war aber sicher nicht überhastet. Im Gegenteil, mit keinem anderen Land wurde so lange verhandelt.

Ist für Kroatien eine Mitgliedschaft unter Vorbehalt oder zweiter Klasse denkbar?

 In Kroatien rumort es: Gestern haben in der Landeshauptstadt Zagreb tausende Mitglieder der Gesundheits- und der Lehrergewerkschaft für bessere Arbeitsbedingungen demonstriert. Foto: ANTONIO BAT/dpa

In Kroatien rumort es: Gestern haben in der Landeshauptstadt Zagreb tausende Mitglieder der Gesundheits- und der Lehrergewerkschaft für bessere Arbeitsbedingungen demonstriert. Foto: ANTONIO BAT/dpa

Krichbaum: Wir haben in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass der Reformeifer in Beitrittsländern bis zur Aufnahme in die EU am größten war. Diesen Druck gilt es zu nutzen. Die Probleme, um die es geht, sind nicht marginal, sondern fundamental. Da verbietet es sich, ein Auge oder beide Augen zuzudrücken. In der EU gibt es keine Mitgliedschaften unterschiedlicher Qualität. Alle haben die gleichen Rechte und Pflichten.Foto: zipi/dpa

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