Gefallener Popstar vor Gericht

London · Er war einst ein Popstar, den die Mädchen anschmachteten. Doch Gary Glitter ist tief gefallen. Heute beginnt in London ein Prozess gegen den 70-Jährigen. Der Vorwurf: sexueller Missbrauch von Kindern.

Schrill-glänzende Klamotten, toupierte schwarze Mähne, weit aufgerissene Augen, viel Brusthaar und schnelle Beats, so begeisterte Rocksänger Gary Glitter in den 70ern und 80ern die Musikfans. Im Gericht in London wird heute ein 70 Jahre alter Mann mit weißem Bart erwartet, der ein Hörgerät braucht. In Vietnam war Glitter 2006 wegen Kindesmissbrauchs zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Jetzt ein neuer Prozess, der zweite in seiner Heimat Großbritannien. Tiefer Abstürzen geht fast nicht.

Der Fall des Mannes, der eigentlich Paul Gadd heißt und mit Hits wie "Do You Wanna Touch Me" und "I'm the Leader of the Gang" Millionen Platten verkauft hat, begann 1997. Er wurde verhaftet und zwei Jahre später wegen des Besitzes von Kinderpornos verurteilt - das Image war hin. Von seiner vier Monate langen Haft saß er zwei ab. Anschließend setzte er sich ins Ausland ab und landete schließlich in Vietnam . Dort wurde er erneut verhaftet und verurteilt, weil er zwei Mädchen missbraucht hatte. Glitter beteuerte stets seine Unschuld und machte eine Verschwörung der Presse verantwortlich.

Seit 2008 ist er zurück in Großbritannien. 2012 wurde er im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal um den früheren BBC-Moderator Jimmy Savile erneut festgenommen und ist auf Kaution frei. Heute beginnt nun ein voraussichtlich dreiwöchiger Prozess gegen ihn. Auch diesmal erklärte Glitter, er sei unschuldig. Es geht um die Jahre 1975 bis 1980 und drei Mädchen , von denen zwei zur Tatzeit noch keine 13 Jahre alt gewesen sein sollen. Zu den Anklagepunkten gehören Sex mit einem Mädchen unter 13, versuchte Vergewaltigung und sexuelle Nötigung.

Glitter ist einer von mehreren britischen Stars, deren Umtriebe in vergangenen Jahrzehnten erst nach und nach ans Licht kommen. Fassungslos machte im Vereinigten Königreich der Fall des früheren BBC-Starmoderators Jimmy Savile, der Kinder, Teenager, alte und kranke Menschen vergewaltigt und sich an Leichen vergangen haben soll. Savile starb 2011 mit knapp 85 Jahren, seine Taten wurden zu spät entdeckt.

Sein Kollege, der TV-Moderator und Künstler Rolf Harris (84), wurde im Juli wegen sexuellen Missbrauchs zu fünf Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Es sind kleine Schritte in der Aufarbeitung eines Skandals um Missbrauch, Wegschauen, Einschüchterung und Schweigen, der alle Schichten der britischen Gesellschaft durchzieht. Nach und nach trauen sich immer mehr Opfer, über die Vergangenheit zu sprechen. Wie tief auch die politische Elite verstrickt war, soll eine Kommission klären.

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