Wissen Forscher spielen mit Elektronen Billard

Marburg/Regensburg · Ein neues Laser-Verfahren könnte Computerschaltkreise in der Zukunft um das Tausendfache beschleunigen.

 Die Energielandschaft von Wolfram-Selenid mit ihren Tälern erinnert an einen Eierkarton. Mit Laserblitzen können die Forscher die Elektronen (als Kugeln gezeichnet) von Tal zu Tal verschieben.

Die Energielandschaft von Wolfram-Selenid mit ihren Tälern erinnert an einen Eierkarton. Mit Laserblitzen können die Forscher die Elektronen (als Kugeln gezeichnet) von Tal zu Tal verschieben.

Foto: Stefan Schlauderer(Uni Regensburg

Forscher der Universitäten Marburg und Regensburg haben ein Verfahren ersonnen, das Computer eine Million Mal schneller rechnen lassen soll als derzeit. Aktuell liegen die Taktfrequenzen eines handelsüblichen Computerprozessors im Bereich von wenigen Gigahertz. Ein Gigahertz sind eine Milliarde Rechenschritte pro Sekunde. Die Ingenieure stoßen hier jetzt allerdings an eine physikalische Grenze. Die Schaltelemente, die Transistoren, lassen sich mit konventionellen Methoden kaum noch weiter miniaturisieren.

Die Marburger und Regensburger Forscher haben nun jedoch eine Alternative ersonnen, um Elektronen, die Träger der elektrischen Ladung, zu beschleunigen. Sie geben ihnen einen kleinen Klaps, damit sie sich rascher in den Halbleiterbauteilen bewegen. Mittels kurzer Lichtblitze können die Forscher Elektronen in bestimmten Materialsystemen zwischen Zuständen, die in der Computertechnik als Null und Eins interpretiert werden, hin und her schalten. Und das schon mit einem einzigen Wellenzug eines Laserpulses. Da solch ein Puls nur Femtosekunden, also Millionstel Teile einer Milliardstel Sekunde dauert, liegt die Schaltzeit eines solchen Elements bei einer Million Gigahertz.

Die Forscher um Robert Huber von der Universität Regensburg und Stephan Koch von der Universität Marburg untersuchen dazu ein ganz spezielles Materialsystem. Der Halbleiter besteht aus einer hauchdünnen, nur eine Atomlage dicken Schicht aus Wolfram und Selen. Auf atomarer Ebene erscheint die Energielandschaft dieses Materials ein wenig wie ein Eierkarton.

Und genauso wie sich in einer realen Landschaft Flüsse und Seen in den Tälern zwischen den Gebirgen befinden, so finden sich auch die Elektronen an den tiefsten Stellen dieser atomaren Eierkarton-Landschaft. Mit Laserpulsen können Robert Huber und seine Regensburger Experimentalgruppe diese Elektronen manipulieren und von Tal zu Tal schieben. Ein von Elektronen leergefegtes Tal entspricht computertechnisch dem Zustand Null und ein Tal mit hoher Elektronendichte der Eins. Die Fachleute sprechen hier auch von einer speziellen Form der Elektronik, der sogenannten Valleytronic (das englische „Valley“ steht für „Tal“).

Innerhalb einer Femtosekunde „können wir zwischen den Tälern hin und her schalten“, erläutert der Physiker Stephan Koch, der mit seinem Team die Computerberechnungen gemacht hat. „Wir haben erstmals gezeigt, dass das funktioniert und dass wir eine Million Mal schneller sein können.“

Eine unmittelbare praktische Konsequenz ergibt sich daraus allerdings erst einmal nicht. Das alles ist bisher Grundlagenforschung. Eine Anwendung ist noch Jahre entfernt, wie auch die kuriose Methode der Herstellung der Wolfram-Selenid-Schichten zeigt. „Die Experimentalphysiker ziehen die Schicht mit Tesafilm vom Material ab“, erklärt Koch. Das bedeutet Handarbeit. Die Forscher erhalten auf diese Weise sogenannte Flakes – ähnlich den Cornflakes, nur eben hauchdünn. „Auf einem Flake hat man Milliarden dieser Schalter“, erläutert der Grundlagenforscher der Universität Marburg.

Wie solche Schichten in einer Chipfabrik herzustellen wären, das steht bisher in den Sternen. Zwei Dinge sprechen aber stark für die neue Technologie. Zum einen ist sie sehr robust gegen äußere Störungen. Und zum anderen erlaubt sie auch einen fließenden Übergang vom klassischen Computer zum Quantencomputer.

Zu den wichtigsten Störfaktoren von IT-Systemen zählt die Temperatur. Sie sorgt für ungewollte Eigenbewegung der Elektronen und für Ungenauigkeiten in den physikalischen Prozessen. Deswegen müssen Hochleistungscomputer gekühlt werden, und viele Testsysteme für Quantencomputer arbeiten nur bei wirklich tiefen Temperaturen. Die Valleytronic sei hingegen so unempfindlich gegen Störungen bei Raumtemperatur wie ein großes Schiff, dem die kleinen Wellen eines ins Wasser geworfenen Steins nichts anhaben können.

„Bei der Robustheit haben diese Systeme einen klaren Vorteil“, erklärt Koch. Da die Forscher die Elektronen per Laserpuls praktisch beliebig verschieben können, ist auch jede mögliche Aufteilung oder Mischung möglich. Das ebnet den Weg zu Testsystemen für Quantencomputer bei Raumtemperatur, die nicht mehr mit Null und Eins der klassischen Elektronik arbeiten, sondern mit beliebigen Überlagerungen dieser Zustände. Durch diese Überlagerung können Quantencomputer im Prinzip viele Rechenoperationen parallel ausführen. Wofür klassische Computer Tausende Jahre benötigen würden, das gelinge mit dem Quantencomputer in Sekundenschnelle.

„Wir stehen hier technologisch noch am Anfang“, meint Koch. Doch wie im schnelllebigen IT-Bereich üblich: „Der Durchbruch kann in kurzer Zeit geschehen.“

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