Mein Implantat gehört mir

Behinderten Menschen bietet die Medizin heute auch Hightech-Hilfe. Eingepflanzte Computerchips und intelligente Implantate lassen zum Beispiel taube Patienten wieder hören. Diese Verbindung von Mensch und Technik betrachtet der Verein Cyborg nicht nur als medizinische Hilfe, sondern als Beginn eines neuen Zeitalters.

Berlin. Für Enno Park ist die Sache klar: "Wenn jemand ein Stück Technik in meinen Körper pflanzt, dann gehört es zu mir. Ich muss damit machen können, was ich will." Das Stück Technik, von dem er redet, ist ein Cochlea-Implantat (CI). Ein medizinisches Hightech-Gerät, das Tonsignale direkt in sein Gehirn leiten kann. Ein künstliches Gehör, mit dem Enno Park nach 22 Jahren Taubheit wieder anfing zu hören.

Der Berliner war dankbar für dieses Wunder der modernen Medizin. Genauso war er aber auch sicher, dass da noch mehr geht. Er glaubt, wenn er Herr über die Technik in seinem Kopf wäre, wenn er die Chance hätte, die Software seines Implantats zu verändern, dann könnte er schon bald Ultraschall hören wie ein Hund. Er könnte sein Gehör zum Beispiel auch als Richtmikrofon einsetzen wie Superman oder ganz einfach den Bass herausdrehen, wenn ihm Musik zu laut wird. Doch die Baupläne des Chips fehlen ihm dazu. Hätte er sie, so glaubt er, würde das CI nicht nur seine Behinderung beheben. Es würde seinen Körper verbessern. Park bezeichnet sich selbst als Cyborg. Als Mensch, der mit Technologie verschmolzen ist. Alle zwei Wochen trifft er sich Berlin mit Gleichgesinnten, lädt Technik- und Programmier-Experten ein. Die referieren über Themen wie "Gehirn-Interfaces", "intelligente Prothetik" oder erklären, wie man aus Körperströmen Klänge erzeugen kann. Die Vorträge sind gut besucht, der Begriff Cyborg scheint sich in seiner mehr als 50-jährigen Geschichte gewandelt zu haben. Von einer Science-Fiction-Utopie hin zu der einfachen Frage: Wann ist es endlich so weit?

Chips für Auge und Ohr

Ray Kurzweil, einer der prominentesten Cyborg-Forscher, schrieb bereits im Jahr 2002, dass die Menschheit kurz davor stehe, zu Cyborgs zu werden. "Wir verwachsen immer mehr mit unserer Technik. Computer waren einmal große Maschinen in klimatisierten Räumen, die nur von weißbekittelten Technikern gepflegt wurden. Nach und nach wanderten sie auf unsere Schreibtische, dann unter unsere Arme und schließlich in unsere Hosentaschen. Schlussendlich werden wir eher nichtbiologisch sein als biologisch."

Das Cochlea-Implantat wie das von Enno Park ist nur ein Beispiel. Mittlerweile gibt es Retina-Chips, die blinden Menschen das Augenlicht zurückgeben können. Es gibt Armprothesen, die ins Nervensystem eingegliedert werden - und es gibt Sonden, Pads und Chips, die Schmerzen abschalten können. Das alles ist bereits Realität. Wo Ärzte allerdings hauptsächlich Behandlungsmethoden sehen, sehen die selbsternannten Cyborgs vor allem Potenzial. Enno Park will daran mitarbeiten, das große Ganze klar formulieren.

Er gründete den Verein Cyborg e.V., Deutschlands ersten Interessenverband für Mensch-Maschinen. Sein Ziel lautet, sich über die Fragen Gedanken zu machen, die heute noch wie Zukunftsmusik klingen. Park erklärt: "Wenn wir uns den Sprung in der Technik allein in den letzten zehn Jahren anschauen, dann merkt man, dass die Science-Fiction-Ära schon längst angefangen hat." Er ist sicher: Die Technik rückt immer näher an den Körper. Das Smartphone etwa legen wir kaum noch aus der Hand, mit der Computerbrille Google Glass werden wir das Internet stets auf dem Kopf tragen.

Wichtig sei, so Parks, über die Auswirkungen all dieser Entwicklungen zu sprechen - bevor es das Handy im Arm oder die smarte Kontaktlinse gibt. "Bevor wir irgendwann einfach in den Elektronikmarkt gehen können und uns einen neuen Arm aussuchen", wie Park sagt.

Ganz so einfach macht es ihm die medizinische Industrie allerdings nicht. Sie argumentiert, Cochlea-Implantate seien als Medizinprodukte zu gefährlich, als dass Patienten hier selbst Hand anlegen dürften. "Ein CI stimuliert das Nervensystem elektrisch direkt über den Hörnerv", erklärt etwa Dr. Horst Hessel, vom Implantate-Hersteller Cochlear. "Das ist nur unter medizinischer Kontrolle erlaubt und auch richtig so, um den Patienten und seine Gesundheit zu schützen." Aber als Patienten sehen sich die Cyborgs überhaupt nicht.

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