Frischer Wind für die Autowelt

Wenn es sein muss, erzeugt der Windkanal der Uni Stuttgart einen Taifun im Wohnzimmer. Er kann die Luftströmung in seiner Messkammer auf bis zu 300 Kilometer pro Stunde beschleunigen. Viele Autohersteller testen hier ihre Neuentwicklungen.

 Im Windkanal der Universität Stuttgart erreicht die Luftströmung Geschwindigkeiten bis zu 300 Kilometer pro Stunde. Foto:s FKFS

Im Windkanal der Universität Stuttgart erreicht die Luftströmung Geschwindigkeiten bis zu 300 Kilometer pro Stunde. Foto:s FKFS

Stuttgart. Von Null auf Hundertvierzig beschleunigt diese Maschine in zwanzig Sekunden. Schwere Turbinenschaufeln treiben die Luft durch die Messkammer des Windkanals. Dort steht ein einziges Hindernis - ein Auto. Der Wind fegt über die Karosserie. Verwirbelungen bereiten den Ingenieuren Kopfzerbrechen, denn turbulente Strömungen kosten Energie. Nur da, wo die Luftströmung glatt von der Fahrzeugoberfläche abreißt, ist die Aerodynamik ideal. Und es gehört dabei zu den verblüffenden Erkenntnissen, dass die Gestaltung des Fahrzeughecks wichtiger ist als die Bugform, um den Luftwiderstand zu drücken. Niedriger Luftwiderstand bedeutet niedrigen Kraftstoffverbrauch . Auf der Autobahn benötigt ein Motor nach Angaben von Volkswagen rund 70 Prozent seiner Energie, um den Luftwiderstand zu überwinden.

"Der Aufwand, der getrieben wird, ist immens", erklärt Armin Michelbach , der Leiter des Windkanals am Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart (FKFS), einem unabhängigen Institut auf dem Campus der Uni Stuttgart in Vaihingen. Anfang November nahm der frisch modernisierte Windkanal am FKFS nach einer umfangreichen Nachrüstung seinen Betrieb wieder auf. 15 Millionen Euro kostete das Upgrade.

In der Halle stand bei der Demonstration ein Opel Ampera. Eine Rauchsonde machte die Luftströmung über die Karosserie sichtbar. Ansonsten dringt nie nach außen, wer testet oder was im Windkanal untersucht wird. "Das ist alles hochgeheim", sagt Forschungsmanager Wolfgang Schwenk von Opel , dessen Mitarbeiter hier im Jahr 2013 über 800 Stunden lang den neuesten Modellen den letzten aerodynamischen Schliff gaben. Im Unterschied zu Daimler, Porsche , VW und Audi betreibt Opel keinen eigenen Windkanal und ist auf die Kooperation mit der Universitätsforschung angewiesen.

Vorbild Natur



Oft schauen sich die Forscher stromlinienförmige Konstruktionen von der Natur ab. So haben ein Wassertropfen oder ein Pinguin ideale Luftwiderstandswerte. Doch wer will schon mit einem Pinguin durch die Gegend fahren? 2005 stellte Daimler mit dem Bionic Car ein Konzeptauto vor, dessen Designlinien dem Kofferfisch entlehnt waren. Der cW-Wert, das Maß für den Luftwiderstand, lag mit 0,19 spektakulär niedrig. Doch einen Markt fand das Auto nicht. So lässt sich auch verstehen, dass ein Serienfahrzeug über 1000 Stunden im Windkanal verbringt, bis die richtige Balance von Design und Aerodynamik gefunden ist.

Seit der Aufrüstung hat der Stuttgarter Windkanal verstellbare Flügel zwischen Lufteinlassdüse und Fahrzeug. So können die Forscher auch Seitenwind generieren. Die Flügel sind um einen Winkel von zwölf Grad schwenkbar und können pro Sekunde bis zu zwölf Mal hin und her schwingen. "Der Wind kommt ja nie ganz von vorn", erklärt Michelbach .

Mit der Seitenwindanlage können die Ingenieure unangenehme Situationen nachstellen, wie das Herausfahren aus dem Windschatten eines Lastwagens oder die Einfahrt in einen Tunnel. In den Bereich der Aeroakustik gehört eine weitere Neuheit. Wind macht Lärm, und um das Pfeifen des Fahrtwinds am Seitenspiegel oder Türspalt nachzuweisen, muss der Windkanal selbst leise sein. Durch spezielle Dämpfungselemente beim Lufteinlass und Hohlräume auf dem Dach des Gebäudes bekommen die Stuttgarter Wissenschaftler Störgeräusche in den Griff. Dann können sie sich darauf konzentrieren, mit Richtmikrofonen auf die Fahrgeräusche zu achten. Um Geräusche am Ohr der Fahrer aufzunehmen, rüsten die Ingenieure Dummys mit Mikrofonen in der Ohrmuschel aus.

Für Stephan Wolfsried, Forschungsmanager bei Daimler, wird die Aerodynamik bisweilen unterschätzt. "Oft kann man mit Aerodynamik und Ingenieurkreativität genauso viel erreichen wie durch innermotorische Maßnahmen”, sagt der Manager. Durch eine Verminderung des Luftwiderstands lasse sich außerdem einfacher und preiswerter der Spritverbrauch eines Autos drücken als durch Leichtbau oder neue Motorentechnik. Die Autobauer drehen daher an allen drei Stellschrauben.

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HintergrundIm Windkanal der Uni Stuttgart beschleunigt eine Turbine Luft zunächst auf etwa 60 Kilometer pro Stunde. Vor der Messkammer dann erhöht eine Düse die Strömungsgeschwindigkeit auf bis zu 300 km/h. Der Lüftungsschacht hinter Fahrzeug und Messkammer leitet die Luft wieder zurück zur Turbine. In der Fahrbahn sitzen Laufbänder und -rollen, die jedes Rad einzeln antreiben können. Als charakteristische Größe für den Luftwiderstand gilt der cW-Wert. Er liegt bei Autos der Golfklasse bei 0,3, bei einem SUV bei 0,4. Die Minderung des cW-Werts um einen hundertstel Punkt spart rund 0,4 Liter Kraftstoff. Formel-1-Wagen sind übrigens nicht besonders auf Aerodynamik getrimmt. Ihr Luftwiderstandswert liegt bei 1,2.

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