Interview Cem Özdemir „Wir müssen stärker die Sprache des Geldes sprechen“

Berlin · Nach der Freilassung des Schriftstellers Dogan Akhanli fordert Grünen-Chef Cem Özdemir, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ökonomisch stärker unter Druck zu setzen. Deutsche Steuergelder dürften nicht länger nach Ankara fließen, so Özdemir im Gespräch mit SZ-Korrespondent Hagen Strauß.

 Özdemir sorgt sich darum, dass  Erdogan die Radikalisierung inach Deutschland bringt.

Özdemir sorgt sich darum, dass  Erdogan die Radikalisierung inach Deutschland bringt.

Foto: dpa/Sascha Baumann

 Herr Özdemir, Präsident Erdogan eskaliert weiter. Was nun?

ÖZDEMIR Dass Erdogan die internationale Polizeizusammenarbeit für die Verfolgung von Regimekritikern missbraucht, und einen Schriftsteller, der unser Staatsbürger ist, in Spanien im Urlaub verhaften lässt, ist ein Skandal erster Güte. Solche Fälle müssen künftig ausgeschlossen werden. Zum Glück ist Dogan Akhanli jetzt erst einmal freigekommen.

Erdogan hat auch Sigmar Gabriel scharf angegriffen. Wie sollte der Außenminister darauf reagieren?

ÖZDEMIR Sich mit Erdogan auf seinem Niveau anzulegen, hat keinen Sinn, da bräuchte es einen Psychologen. Die türkische Gesellschaft muss das lösen und das hätte sie auch schon, wenn Erdogan keine Angst vor freien Wahlen hätte. Am meisten Sorge macht mir momentan übrigens, dass Erdogan versucht, die Radikalisierung in Moscheen und türkische Vereine in Deutschland hineinzutragen. Da ist die Bundesregierung deutlich zu schläfrig und zu soft.

 Aber kann man den türkischen Präsidenten überhaupt noch in die Schranken weisen?

ÖZDEMIR Wir müssen stärker die Sprache der Wirtschaft und des Geldes sprechen. Es ist schon erstaunlich, dass die Bundesregierung das erst kurz vor der Wahl bemerkt hat. Und erst, als es um deutsche Unternehmen ging, die auf einer besonders absurden Terrorliste Ankaras standen.

Was meinen Sie konkret?

 ÖZDEMIR Ich kann es zum Beispiel nicht verantworten, wenn deutsche Steuergelder verwendet werden für Erdogan und sein Regime. Es kann nicht sein, dass wir in der gegenwärtigen Situation über die Hermes-Bürgschaften Investitionen in der Türkei absichern. In einem Land, in dem es keine Rechtsstaatlichkeit gibt und in dem jederzeit deutsche Staatsbürger als Geiseln genommen werden können und ja auch werden. Das muss sofort aufhören.

Welche Rolle spielt dabei die EU?

ÖZDEMIR Leider nicht die, die sie früher zu rot-grünen Zeiten hatte. Der Einfluss der Europäischen Union ist inzwischen sehr überschaubar. Der Fall Dogan Akhanli hat allerdings nochmal deutlich gemacht, wie wichtig eine gemeinsame europäische Türkeistrategie ist. Die fehlt.

Haben Sie noch Hoffnung, dass die deutschen Gefangenen wie der Journalist Yücel und der Menschenrechtler Steudtner freikommen?

ÖZDEMIR Die Bundesregierung, auch die künftige, muss alles dafür tun, sie so schnell wie möglich freizubekommen. Da stehen wir an der Seite der Regierung. Denn es geht um deutsche Staatsbürger und nicht um Wahlkampfprofilierung. Wir sollten aber auch nicht die tausenden, türkischen Erdogan-Kritiker vergessen, die im Gefängnis sitzen und über die nicht jeden Tag bei uns berichtet wird.

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