Asylpolitik Wenn Solidarität ein Fremdwort bleibt

Brüssel · Brüssel verklagt Polen, Ungarn und Tschechien wegen der Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen. Werden bald Zwangsgelder fällig?

Die Zahl illegaler Einreisen in die EU-Staaten ging 2017 um 63 Prozent zurück. Beim EU-Gipfel in der nächsten Woche sollen deshalb die Chancen genutzt werden, um die Reform des europäischen Asylrechtes durchzusetzen. Ob die Reparaturarbeiten – wie von der Kommission geplant – aber bis Mitte nächsten Jahres abgeschlossen sind, erscheint mehr als fraglich.

Dimitris Avramopoulos zeigt sich entmutigt. „Ich habe viel versucht, die drei Mitgliedstaaten davon zu überzeugen, zumindest ein bisschen Solidarität zu zeigen“, sagte der für Migration zuständige EU-Kommissar beim Treffen der Innenminister gestern in Brüssel. Doch „zu meinem Bedauern“ bewegten sich weder Ungarn noch Polen oder Tschechien. Sie sollten tun, was alle vor zwei Jahren versprochen hatten: 120 000 Flüchtlinge aufnehmen, die in griechischen und italienischen Lagern gestrandet sind. Während andere wenigstens ein paar Hundert akzeptierten, sperrten sich die Regierungen in Prag, Warschau und Budapest hartnäckig.

Das bereits laufende Vertragsverletzungsverfahren wird nun um eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erweitert. Bekommt die Kommission dort Recht, müssen die drei Länder zahlen. Und das kann teuer werden. Dabei sind es keineswegs nur diese Staaten, die sich weigern, Migranten eine neue Heimat zu geben. Als die Innenminister der Union sich im Herbst 2015 einigten, Athen und Rom einen großen Teil der Lasten abzunehmen, war man noch euphorisch. Die jüngsten Zahlen aus Brüssel zeigen das Fiasko des Vorhabens: Gerade mal 32 366 Flüchtlinge (10 842 aus Italien, 21 524 aus Griechenland) wurden von anderen EU-Ländern aufgenommen. Wie vor diesem Hintergrund die Vorschläge der EU in der nächsten Woche beim EU-Gipfel eine Mehrheit finden sollen, ist völlig unklar. Zwar sprach der Präsident der EU-Behörde, Jean-Claude Juncker, gestern davon, dass man „den Krisenmodus“ langsam verlasse. Aber die „Migration bleibt eine Herausforderung für eine ganze Generation Europäer“.

Brüssel will deshalb das derzeit geltende Dubliner Regelwerk umbauen. Künftig sollen die Mitgliedstaaten eine Quote erfüllen, die aus Größe, Bevölkerungszahl, Wirtschaftskraft und bisherigen Bemühungen um Migranten errechnet würde. Die neue AU-Asylagentur (EASO) würde dann die Einwanderer verteilen. Das Modell wurde kurz vor dem Spitzentreffen der Staats- und Regierungschefs jetzt noch einmal abgemildert: „Die verpflichtende Umverteilung käme in schweren Krisensituationen zum Tragen“, heißt es in dem gestern vorgestellten Papier. „In weniger problematischen Situationen würde die Umverteilung aufgrund freiwilliger Verpflichtungen der Mitgliedstaaten erfolgen.“ Es ist der Versuch eines Brückenschlags vor allem zu den vier Ländern der Visegrád-Gruppe (Polen, Tschechien, Ungarn und Slowakei), die sich bisher strikt dagegen wehren, irgendwelche Zuwanderungsvorschriften der EU zu akzeptieren.

Doch nun macht die Kommission Druck. In der kommenden Woche sollen dieser Vorschlag sowie die Grundlagen der EASO-Zentrale und des Systems zur Speicherung von Fingerabdrücken (Eurodac) gebilligt werden, um bis Mitte 2018 arbeiten zu können. Außerdem fordert der Behörde die Regierungen auf, endlich die versprochene Zahl von Experten für die neue Grenz- und Küstenwache bereitstellen. Denn dann könne man die Zahl der Ausweisungen und Rückführungen um mindestens 50 Prozent gegenüber 2017 erhöhen. Die entsprechenden Grundlagen dafür will die Union unter anderem in Form von Abkommen mit afrikanische Partnern schaffen.

Allzu groß sind die Hoffnungen auf Einigkeit allerdings nicht. Der neue tschechische Regierungschef Andrej Babis kündigte in diesen Tagen an, er strebe „Kooperationen mit weiteren Ländern“ wie Österreich an, um die Brüsseler Flüchtlingspolitik zu stoppen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort