Knappes Rennen in Israel

Jerusalem · Wird Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu abgelöst? Das Mitte-Links-Bündnis von Izchak Herzog wittert nach langem Kopf-an-Kopf-Rennen Morgenluft. Die heutige Wahl in Israel verspricht spannend zu werden.

Kurz vor den Parlamentswahlen in Israel hat sich das Blatt gewendet. Der amtierende Ministerpräsident Benjamin Netanjahu , bis vor kurzem noch klarer Favorit, stellt sich jetzt auf eine schmerzhafte Niederlage ein. Das Mitte-Links-Bündnis von Izchak Herzog konnte zuletzt seinen Vorsprung in den Umfragen stärker ausbauen. Zuvor hatte das Zionistische Lager wochenlang noch etwa gleichauf mit Netanjahus rechtsorientiertem Likud gelegen. "Ich mache mir in der Tat Sorgen", sagte der 65-jährige Regierungschef, der für eine vierte Amtszeit antritt. Der sonst so selbstsicher auftretende Netanjahu wirke vor der richtungsweisenden Wahl "unter Druck, nervös, müde und verwirrt", schrieb ein Kommentator der Zeitung "Haaretz". "Wie ein Pilot, dessen Flugzeug an Höhe verliert, und der sich im Sturzflug befindet, tut er alles, um wieder Kontrolle über die Maschine zu gewinnen."

Netanjahu stellte sich nur Tage vor der Abstimmung einem Marathon von Mediengesprächen - im verzweifelten Versuch, das Ruder noch herumzureißen. Was ihm durchaus noch gelingen könnte. Netanjahus Chance liegt in der Tatsache, dass das rechte Lager im Parlament immer noch stärker ist als das linke. Um die rechten Gegner zu bezwingen, braucht Herzogs Bündnis mit Zipi Livni einen deutlichen Vorsprung. Das Zionistische Lager von Herzog und Livni setzt sich für eine Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen mit den Palästinensern ein. Wer letztlich Regierungschef wird, entscheidet sich daran, wer eine Mehrheit von mindestens 61 der 120 Knesset-Abgeordneten sichern kann. Und das muss nicht unbedingt der Vorsitzende der größten Fraktion sein.

Warum ist es so schwer, Netanjahu abzulösen, obwohl er sich mit seiner Blockadepolitik im eigenen Land und im Ausland viele Feinde gemacht hat? Der israelische Politikprofessor Avraham Diskin sieht die Angst vor der feindseligen Umgebung Israels als Hauptgrund. Israel empfindet sich als "Villa im Dschungel": Im Nachbarland Syrien tobt seit Jahren ein blutiger Krieg, dazu kommen der Vormarsch der Terrormiliz Islamischer Staat und immer neue Kriege mit der radikal-islamischen Hamas im Gazastreifen. Der Likud-Chef wird grundsätzlich als starke Führungspersönlichkeit wahrgenommen, die Sicherheit ausstrahlt. Sein wichtigster Rivale Herzog wirkt dagegen in den Augen vieler als zu sanft für den rauen Nahen Osten. "Von der großen Mehrheit der muslimischen Welt wird Israel immer noch als ein illegitimer Staat angesehen, dazu kommt die Gefahr einer iranischen Atombombe", sagt Diskin, der unter anderem an der Hebräischen Universität in Jerusalem unterrichtet.

Netanjahu hat sich den Kampf gegen eine atomare Aufrüstung Teherans auf die Fahne geschrieben. Für seinen umstrittenen, aber medienwirksamen Auftritt vor dem US-Kongress hat er sogar in Kauf genommen, dass die Beziehungen mit dem engsten Verbündeten weiter abkühlen.

Netanjahu stand zuletzt wegen Vorwürfen am Pranger, er und seine Frau Sara verschwendeten mit ihrem aufwendigen Lebensstil Steuergelder. Nach den Wahlen soll sogar ein Untersuchungsverfahren eingeleitet werden. Zuletzt kam es nach einem kritischen Bericht des Staatskontrolleurs über die Wohnungskrise in Israel zu neuen sozialen Protesten in dem Land. Zwischen 2008 und 2013 sind die Wohnungspreise um 55 Prozent gestiegen, immer weniger Israelis können sich ein Eigenheim leisten. Die israelische Parteienlandschaft ist zersplittert - trotz Anhebung der Sperrklausel auf 3,25 Prozent wird vermutlich elf Fraktionen der Einzug ins Parlament gelingen. Womöglich wird sich erst nach wochenlangen Koalitionsverhandlungen herauskristallisieren, wer das Land in Zukunft anführt.

Sollte es wirklich keinen deutlichen Favoriten geben, könnte Präsident Reuven Rivlin Likud und Zionistisches Lager zu einer großen Koalition drängen. Sollte das arabische Parteienbündnis wie erwartet drittstärkste Kraft werden, gäbe es dann erstmals in der israelischen Geschichte einen arabischen Oppositionsführer.

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