Runder Geburtstag Das Brüsseler Atomium wird 60 – und fasziniert bis heute

Brüssel · Früher machte die Atomforschung noch positive Schlagzeilen: Aus einem Eisenkristall wurde ein Wahrzeichen – damals ein Geniestreich, heute umstritten.

 Strahlen fürs Selfie: Das Atomium in Brüssel ist eine Attraktion.

Strahlen fürs Selfie: Das Atomium in Brüssel ist eine Attraktion.

Foto: dpa/Elena Metz

Das Brüsseler Atomium gehört zu den bekanntesten Wahrzeichen europäischer Städte. Das konnte allerdings niemand ahnen, als die Weltausstellung in der belgischen Hauptstadt vor genau 60 Jahren am 17. April 1958 eröffnet wurde. Die damalige Technik-Euphorie ist längst gebrochen. Das Atomium zieht dagegen noch heute Besuchermassen in seinen Bann.

„Fortschritt der Menschheit durch Fortschritt der Technik“ – das Motto der Expo 1958 in Brüssel stand für einen gewaltigen Aufbruch. Der Mikrochip war gerade erfunden, die US-Raumfahrtbehörde Nasa gegründet worden. Und der Traum vom Atom als sauberer, immerwährender Energiequelle für die Menschheit faszinierte die Forscher. So viel Aufbruch – das sollte sich in einem Symbol für die Weltausstellung wiederfinden: dem Atomium. Die geniale Idee, ein Eisenkristall 165-milliardenfach zu vergrößern, stammte von den beiden Architekten André Waterkeyn und Jean Polak.

Zwar musste der ursprüngliche Entwurf noch nachgebessert werden, da die belgische Luftfahrtbehörde gegen ein 134 Meter hohes Ungetüm Bedenken hatte. Es wurden schließlich 102 Meter, neun Kugeln, jede mit einem Durchmesser von 18 Metern. In den Rohren arbeitet bis heute eine weitere technische Neuerung der damaligen Zeit: die erste Rolltreppe. Der Bau entpuppte sich als pures Abenteuer. Denn ohne Hydraulik und Maschinenkraft mussten Schraubenmuttern mit einem Durchmesser von bis zu fünf Metern festgezogen werden. Schon während der Fertigung gab es statische Probleme, weil an mehreren Stellen gleichzeitig gearbeitet wurde, um die Konstruktion nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Als die Expo im Oktober 1958 ihre Tore schloss, passierte, was die Väter des Atomiums nicht geahnt hatten: Zwar war die Weltausstellung zu Ende, aber die Besucherströme zum Atomium ließen nicht nach. Schließlich entschloss sich die Stadt, diesen Touristenmagnet stehen zu lassen. Das Atomzeitalter kam und ging, das Atomium blieb.

Zwischen 2004 und 2006 investierten Stadt und Land 27 Millionen Euro, um die längst verrostete Außenhaut aus Stahl auszuwechseln und durch leichtere Inox-Platten zu ersetzen. Dieser nichtrostende Stahl reinigt sich selbst und wiedersteht dem belgischen Wetter viel besser. Im Inneren wurden die Kugeln renoviert, nur fünf sind für den Besucher zugänglich. Eine weitere bietet Schlafplätze für 23 Kinder – gebucht werden muss zwei Jahre im Voraus.

Die meisten Besucher sind begeistert, wenn sie mit dem Aufzug durch die mittlere Röhre in 23 Sekunden die Aussichtsplattform in der oberen Kugel erreichen – und enttäuscht, wenn sie unten wieder rauskommen: Da das Atomium von einem privaten Trägerverein ohne staatliche Unterstützung betrieben wird, fehlt ständig Geld, um attraktive Ausstellungen im Inneren zu organisieren. Manches wirkt wie eine Abstellkammer – und doch ist das Atomium am Stadtrand der belgischen Metropole als Touristenmagnet beliebter als das Männeken Pis.

Belgien selbst sieht das einstige Symbol für den Fortschrittsglauben der Menschheit längst zwiespältig. Das Land setzt zwar auf die Atomkraft, sieben Meiler sind seit Jahrzehnten am Netz, einige davon so störanfällig, dass die deutsche Grenzregionen immer wieder deren Abschaltung fordern. Doch das Atomium erfreut sich auf der anderen Seite auch großer Beliebtheit. Und da es das Facelifting auch strahlend überstanden hat, steht weiteren runden Geburtstagen wohl nichts im Weg.

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