Jugendproteste Der Greta-Effekt mobilisiert junge Aktivisten

Stockholm · Fürs Klima, gegen Waffen, gegen Plastik: Vielerorts kämpft die Jugend für eine bessere Welt. Durch das Internet fühlen sie sich verbunden.

 Mit ihren Schulstreiks gegen den Klimawandel wurde Greta Thunberg zur Vorreiterin einer internationalen Jugendbewegung.

Mit ihren Schulstreiks gegen den Klimawandel wurde Greta Thunberg zur Vorreiterin einer internationalen Jugendbewegung.

Foto: picture alliance / TT NEWS AGENCY/Jessica Gow

Neben der Klimaschutz-Ikone Greta stehen höchstens drei Dutzend Mitstreiter im Schnee von Stockholm. Die langen Mädchenzöpfe, die in Porträts so oft beschrieben wurden, sind unter einer doppelten Lage Wollmützen und einem Schal verborgen. Greta Thunberg, 16 Jahre alt und der aktuelle Star in einer Reihe junger Polit-Aktivisten, steht wieder vor dem Parlament. Es ist Freitag – ihr Tag. Sie will erreichen, dass sich Schweden, besser noch die Politik weltweit, stärker einsetzt gegen das Aufheizen der Erde. Mit diesem Appell wurde sie zur UN-Klimakonferenz ins polnische Kattowitz (Katowice) und zum Weltwirtschaftsforum nach Davos in die Schweiz eingeladen.

Im August, nachdem der Dürre-Sommer auch ihr Land ächzen ließ, hatte sie losgelegt mit den Protesten. Inzwischen schwänzen nach ihrem Vorbild international Tausende Mädchen und Jungen die Schule und gehen bei Großdemos für die Umwelt auf die Straße – unter anderem auch in Saarbrücken und Trier. Die verbindenden Losungen lauten #FridaysForFuture (Freitage für die Zukunft) und #YouthForClimate (Jugend fürs Klima).

Gretas Aktion zwischen Reichstag und dem klotzförmigen Schloss der schwedischen Hauptstadt wirkt an diesem Wintertag eher mini. Besonders im Vergleich zu den Demos in anderen Ländern Europas. Selbst in deutschen Kleinstädten kommen inzwischen mehr junge Leute zu Schulstreiks fürs Klima zusammen als hier, wo alles anfing. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum das gerade unter Jugendlichen in Belgien, Deutschland, Australien und Kanada so groß geworden ist“, sagt die 16-Jährige. Sie spricht leise und sieht noch jünger aus, als sie ist. „In Schweden ist es nicht so groß geworden, das ist seltsam.“ Sie sieht es trotzdem positiv: „Am ersten Tag saß ich ganz alleine hier.“ Seit dem zweiten Tag seien schon ein paar Leute dazukommen. Aber in der Schule, sagt sie, wüssten die meisten vielleicht gar nicht, was sie da tue.

Greta Thunberg ist in weniger als einem halben Jahr zur Vorreiterin geworden. Doch von was eigentlich? Von einer neuen weltweiten Jugendbewegung? Sie gilt als europäisches Gesicht eines Aufbruchs ihrer Generation. Doch können die so angestoßenen Demonstrationen gar, wie „Die Zeit“ andeutet, in eine „globale gesellschaftliche Bewegung“ münden, die 2019 zum Wendepunkt fürs Klima macht?

Fakt ist, dass verschiedene junge Menschen gerade sehr schnell zu politischen Symbolfiguren wurden. In den USA etwa erhob Emma González 2018 spektakulär ihre Stimme gegen Politiker und die einflussreiche Waffenlobby. Sie und andere junge Menschen initiierten nach dem Schulmassaker von Parkland (Florida) vom Februar Massenproteste.

Manche Jung-Aktivisten sind bereits weit gekommen: Die pakistanische Kinderrechtsvorkämpferin Malala Yousafzai erhielt schon mit 17 den Friedensnobelpreis. Heute, 21 Jahre alt, engagiert sie sich bei den Vereinten Nationen. Oder der Deutsche Felix Finkbeiner, 21 und bekannt für die Organisation Plant-for-the-Planet. Seit über zehn Jahren wirbt er dafür, Bäume für den Klimaschutz zu pflanzen. Auch er tourt im Namen der UN.

„Es gibt eine politische Mobilisierung bei den jungen Menschen in den letzten Jahren, die ist bemerkenswert“, stellt Martina Gille vom Deutschen Jugendinstitut in München fest. „Das haben eigene Studien und die Auswertungen der regelmäßig stattfindenden Allbus-Erhebungen ergeben, die alle zwei Jahre gemacht werden.“ Allerdings sei das wachsende Politik-Interesse auch bei Erwachsenen zu beobachten, sagt die Sozialforscherin. Der Trend gehe also in die gleiche Richtung.

„Auch früher haben junge Leute schon protestiert, etwa gegen neue Atomwaffen in Europa, Waldsterben oder AKWs“, ordnet der Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg, Professor Ulrich Reinhardt, 48, ein. „Natürlich spielt auch das Happening als solches für die junge Generation eine Rolle: Man ist mit anderen bei einer Aktion – und dieses ist für viele attraktiver als zur Schule gehen“, sagt er. „Nichtsdestotrotz haben wir jetzt eine Generation, die politisch interessierter ist als noch die Generation davor.“

Doch wie entsteht auf der Basis von Politik-Interesse eine Vorreiterin? Was macht den Greta-Effekt aus? Sicher gehören klare Aussagen und persönliche Betroffenheit dazu: In Kattowitz 2018 und Anfang 2019 in der Schweiz erklärte Greta der Welt die Dringlichkeit der Klimakrise. „Erwachsene sagen immer wieder: Wir sind es den jungen Leuten schuldig, ihnen Hoffnung zu geben. Aber ich will eure Hoffnung nicht. Ich will, dass ihr in Panik geratet“, sagte sie in Davos. „Ich will, dass ihr handelt, als wenn euer Haus brennt, denn das tut es.“ Zum anderen nutzt die junge Schwedin ein Werkzeug, das frühere Generationen nicht hatten: das Internet. Die 16-Jährige weiß, dass sie mit ihrem Protest in den sozialen Netzwerken Ländergrenzen spielend überspringt. Auf Twitter folgen ihr knapp 160 000 Menschen, auf Instagram mehr als 250 000. Über das Netz fühlt sie sich mit anderen Aktivisten verbunden. Thunbergs Twitter-Account kann man auch so lesen: Jugendliche schließen sich über die Kontinente hinweg online zusammen und streiken, von Europa bis Australien. Einen gemeinsamen Protestort braucht es nicht.

Mit acht Jahren hatte die Schwedin vom Problem des Klimawandels gehört. Das Mädchen, bei dem später das Asperger-Syndrom festgestellt wurde, war schockiert. Warum kämpft die Menschheit nicht stärker ums Überleben? Als Autistin, sagt sie, sehe sie die Sache nur Schwarz-Weiß, Zwischentöne gebe es beim Überleben nicht.

Auf ihre Vorbildrolle angesprochen, zuckt Greta Thunberg, die Nachfahrin eines Chemienobelpreisträgers, mit den Schultern. Vorbilder, sagt sie, sind andere für sie. „Meistens sind das Leute, die zu mir kommen und sagen, dass sie zum Beispiel aufgehört haben, zu fliegen. Die zu Veganern geworden sind wegen des Klimas und so etwas. Das müssen keine berühmten Menschen sein.“

Berühmt ist Sarah Hadj Ammar, Studentin der Biomedizin im ersten Semester, nicht. Aber aktiv: zum Beispiel seit acht Jahren bei Plant-for-the-Planet. Und seit der Gründung 2018 im Jugendrat der Generationen Stiftung, die sich als überparteiliche Interessenvertretung künftiger Generationen versteht. Die 19-Jährige aus Würzburg ist nach Berlin gekommen, um an diesem Januar-Freitag vor dem Kanzleramt zu demonstrieren: gegen die Kohle und für den Stopp der Erderwärmung. Vor dem Plakat mit der Aufschrift „Ihr verheizt unsere Zukunft“ haben die jungen Leute eine Grillschale aufgebaut. Darüber hängen sie eine menschliche Puppe. Als der Zug der Schülerdemo, die parallel läuft, anmarschiert kommt, zünden sie das Feuer an. „Wir hatten eine Menge Spaß“, sagt die Studentin hinterher. Aber: „Wenn ich an unsere Zukunft denke, dann habe ich Angst.“

Mit dem Jugendrat trifft sie sich alle ein, zwei Monate. „Ich genieße es sehr, dass wir nicht so gebunden sind im Jugendrat wie in einer Partei in dem, was wir machen und sagen wollen“, erzählt sie. „Wir sind kreativer und können schneller reagieren.“ Grundsätzlich spürt auch Sarah Hadj Ammar so etwas wie einen Aufbruch: „In den vergangenen ein bis zwei Jahren hat sich etwas verändert an der Stimmung unter jungen Leuten.“ Und ergänzt: „Das viele noch zu jung zum Wählen sind, heißt nicht, dass sie keine Meinungen haben und keine Hoffnungen.“ Sie durfte bisher ein Mal zur Wahl. Doch: „Es gibt keine Partei, die mir 100-prozentig zusagt.“

Nähe, Loyalität und Bindung empfindet sie dagegen zu Altersgenossen – egal wo sie leben. Für Plant-for-the-Planet war sie zehn Wochen in Mexiko. Sie hat dort Freunde. „Ich lebe mit dem Gefühl, dass es ein globales Bewusstsein gibt und Verbindungen zu weit entfernten Menschen. Das gibt mir noch mehr Motivation.“

Gefragt, wie lange sich der Jugendprotest aufrechterhalten lässt, bleibt Sarah Hadj Ammar vorsichtig: „Ich hoffe, es wird zum Beispiel auch nach drei Jahren etwas übrig bleiben von unseren Ideen, unseren Werten, auch wenn wir nicht ständig so aktiv weitermachen können.“

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort