Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben

Karlsruhe. Manche Geschichten sind so schön, dass es dem Volksmund egal ist, ob sie wahr sind oder nicht. Auch dem zum Klassiker avancierten Satz: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben" geht es so. Er ermutigte unzählige DDR-Bürger im Oktober 1989 zum Protest gegen Honeckers Regime und wird seitdem in allen Lebensbereichen zitiert

Karlsruhe. Manche Geschichten sind so schön, dass es dem Volksmund egal ist, ob sie wahr sind oder nicht. Auch dem zum Klassiker avancierten Satz: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben" geht es so. Er ermutigte unzählige DDR-Bürger im Oktober 1989 zum Protest gegen Honeckers Regime und wird seitdem in allen Lebensbereichen zitiert. Dass der Spruch aber so wörtlich keineswegs vom damaligen sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow stammt, tut dem keinen Abbruch. In den 20 Jahren seit seiner Geburt hat sich das Zitat fest in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingegraben und findet sich variantenreich nicht nur in vielen Schlagzeilen von Journalisten. Dass das Zitat nicht von Gorbatschow stammt, der mit Perestroika (Umgestaltung) und Glasnost (Offenheit) den Anfang vom Ende der kommunistischen Regime im Ostblock eingeläutet hatte, darauf verwiesen erstmals 1997 die Autoren des Buches "Schlüsselwörter der Wendezeit". Demnach wurde der Reformer während der Feiern zum 40. Geburtstag der DDR von einem West-Journalisten mit Blick auf die brisante Stimmung in der Bevölkerung gefragt, ob er die Situation für gefährlich halte. Gorbatschow erwiderte allerdings nicht den zur Weisheit geronnenen Satz, sondern sagte hintergründig: "Gefahren lauern nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren." Am Tag darauf vor dem Politbüro sprach der Kreml-Chef dann vom Wandel und betonte den richtigen Zeitpunkt zum Handeln: "Wenn wir zurückbleiben, bestraft uns das Leben sofort", sagte er laut der vier Jahre später veröffentlichten Rede. Der Journalistin Ulla Plog zufolge war es schließlich Gorbatschows Sprecher, der das berühmte Zitat in die Welt setzte. Auf einer Pressekonferenz an jenem 7. Oktober habe er es Journalisten auf Englisch gesagt, um das Zusammentreffen des Reformers Gorbatschow und des Hardliners Honecker zu charakterisieren. Die Übersetzung des Satzes "Those who are late will be punished by life itself" ging um die Welt und entfaltete in kurzer Zeit vor allem in der DDR eine ungeheure politische Dynamik. Er wurde von den sich formierenden Bürgerrechtlern aufgenommen und bereits am 30. Oktober war er auf einem Plakat auf der Montagsdemo in Leipzig zu lesen. afp

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