Der letzte Geburtstag der DDR

Tausende Fackeln erhellen das nächtliche Ost-Berlin. Rund 200 000 Menschen ziehen über den Boulevard Unter den Linden. "Es lebe die Deutsche Demokratische Republik" steht auf einem Plakat

Tausende Fackeln erhellen das nächtliche Ost-Berlin. Rund 200 000 Menschen ziehen über den Boulevard Unter den Linden. "Es lebe die Deutsche Demokratische Republik" steht auf einem Plakat. Obwohl die Teilnehmer mit Lastwagen aus allen Teilen der sowjetischen Besatzungszone "zusammengeführt" werden, herrscht bei dem Fackelzug zur DDR-Gründung vor 60 Jahren echte Aufbruchstimmung. So wie der Anfang wird auch das Ende: 40 Jahre später inszeniert sich die DDR-Führung am Vorabend zum Republikgeburtstag am 7. Oktober wieder mit einem gigantischen Fackelzug. Es soll der letzte werden. Von Aufbruchstimmung ist lange nichts mehr zu spüren. Die bestellte Demonstration löst bei vielen Menschen nur noch Beklemmung aus.

Der folgende Jubiläumstag beginnt in Berlin mit Aufräumarbeiten. Straßenkehrmaschinen beseitigen die Überreste des Fackelzuges, bei dem 100 000 Jugendliche am Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker und den Ehrengästen vorbeigezogen waren. Nachmittags beginnt auf der Karl-Marx-Allee eine Militärparade. Gegen 17 Uhr finden sich, wie an jedem 7. der letzten Monate, einige hundert Jugendliche auf dem Alexanderplatz ein, um wegen des Betrugs bei den Kommunalwahlen vom Mai "auf die Wahlen zu pfeifen". Um 17.20 Uhr macht sich die Gruppe auf den Weg in Richtung Palast der Republik, wo zu dieser Zeit die Partei- und Staatsführung mit ihren Gästen, darunter Michail Gorbatschow, Geburtstag feiert. Polizeiketten verhindern ein weiteres Vorrücken. Die inzwischen auf dreitausend Personen angewachsene Menge skandiert immer wieder "Gorbi, Gorbi". Um 18 Uhr setzt sich ein geordneter Demonstrationszug mit mehreren tausend Menschen in Richtung Prenzlauer Berg in Bewegung.

Die Demo erreicht die Gethsemane-Kirche an der Schönhauser Allee. Vor dem Portal brennen hunderte Kerzen für die zu Unrecht Inhaftierten in Leipzig, Potsdam und Berlin. Um 21 Uhr riegeln Sicherheitskräfte die Gegend ab. Vergitterte Lastwagen und Wasserwerfer fahren auf. Gegen Mitternacht kommt der Befehl zum Losschlagen, genau wie in Potsdam, Leipzig, Dresden, Jena oder Magdeburg, wo an diesem Feiertag politische Demonstrationen ebenfalls gewaltsam aufgelöst werden.

Doch der Protest ist nicht mehr aufzuhalten. Wenige Wochen später fällt die Mauer und besiegelt das Ende des Arbeiter- und Bauernstaates.

Doch zurück zu den Anfängen: Knapp fünf Monate nach Gründung der Bundesrepublik entsteht am 7. Oktober 1949 der zweite Staat auf deutschem Boden. Ost-Berlin wird Hauptstadt der DDR, Wilhelm Pieck der erste Präsident. Ereignisreiche Jahre liegen zwischen dem Ende des Krieges und der DDR-Gründung. Neue Währungen werden in Ost und West eingeführt, im Osten werden mit der Bodenreform Landbesitzer enteignet. Vor allem die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) stellt die Weichen. "Die Gründung der DDR erfolgte auch als Antwort auf die Gründung der Bundesrepublik", sagt der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk.

Stärker aber noch sei ins Gewicht gefallen, dass die sowjetische Führung der neuen SED den Makel einer "Russenpartei" nehmen wollte, sagt der Forscher der Stasiunterlagen-Behörde. "Die Gründung der DDR bedeutete die Erfüllung des Vermächtnisses der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung und der antifaschistischen Kämpfer", meinte die DDR-Geschichtsschreibung.

Nach dem Kriegsende stimmten etliche Menschen im Osten dem Ziel "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg" durchaus zu. Gerade in den sowjetischen Besatzungszonen waren die Folgen des Krieges drastisch: Umfangreiche Reparationsleistungen mussten erbracht werden. Flüchtlingsströme, zerstörte Städte und Mangel an fast allem bestimmten das Leben.

Ihre Unzufriedenheit bringt am 17. Juni 1953 viele auf die Barrikaden. Doch sowjetische Panzer walzen den Arbeiteraufstand blutig nieder. Während im Westen bald mit Hilfe der USA das Wirtschaftswunder beginnt, verlassen Hunderttausende den SED-Staat. Die Antwort: In den Morgenstunden des 13. August 1961 beginnt der Bau der Mauer, der die Teilung Deutschlands für rund 28 Jahre besiegelt. Die DDR sieht sich auch nach dem Mauerbau von Feinden umzingelt und baut mit der Staatssicherheit ihren nahezu übermächtigen Überwachungsapparat immer mehr aus. Die Grenzanlagen werden weiter verstärkt. Kritik am Staat wird unterdrückt.

Der Regiesessel für die DDR-Gründung habe in Moskau gestanden, sagt Kowalczuk. Schon Mitte September 1949 seien SED-Funktionäre in die sowjetische Hauptstadt gefahren, um mit der dortigen Führung die Staatsgründung zu besprechen. Josef Stalin habe die Dramaturgie vorgegeben. Auch für das Ende kam der entscheidende Impuls aus Moskau. Mit Gorbatschow im Rücken fühlten sich DDR-Oppositionelle zunehmend gestärkt. Seit den Feiern zum 40. DDR-Jahrestag wird der Sowjetführer mit dem inzwischen legendären Ausspruch an die Adresse Honeckers zitiert, der zumindest wörtlich so niemals gefallen ist: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben."

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