Reiche Steuersünder müssen bangen

Trotz zahlreicher Bedenkenträger in den eigenen Reihen hat sich Angela Merkel anders entschieden: In einem internen Gespräch mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) gab die Kanzlerin grundsätzlich grünes Licht für den staatlichen Ankauf von gestohlenen Bankdaten über deutsche Steuersünder in der Schweiz

Trotz zahlreicher Bedenkenträger in den eigenen Reihen hat sich Angela Merkel anders entschieden: In einem internen Gespräch mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) gab die Kanzlerin grundsätzlich grünes Licht für den staatlichen Ankauf von gestohlenen Bankdaten über deutsche Steuersünder in der Schweiz. Es müsse alles versucht werden, um an die Daten heranzukommen, sagte Merkel gestern. Jeder vernünftige Mensch wisse, dass Steuerhinterziehung geahndet werden müsse. Auf dieser Linie hatte zuvor auch ein Sprecher Schäubles argumentiert. Zugleich verwies er auf einen ähnlich gelagerten Fall 2008, bei dem sich der damalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück für den Erwerb illegal beschaffter Kontodaten ausgesprochen hatte. Am Freitag vergangener Woche war bekannt geworden, dass den Finanzbehörden eine CD mit Schweizer Kontodaten mutmaßlicher deutscher Steuerflüchtlinge zum Kauf angeboten worden ist. Einem Zeitungsbericht zufolge stammt das brisante Material von einem Informatikspezialisten der HSBC Bank in Genf. Auf ihr sollen Informationen über 1500 Bundesbürger mit Konten in der Schweiz enthalten sein. Nach ersten Stichproben könnte der Staat dadurch Steuern im Umfang von bis zu 100 Millionen nachträglich eintreiben. Der Informant verlangt angeblich 2,5 Millionen Euro. Dass Merkel entgegen ihrem Naturell schon frühzeitig Farbe bekannte und sich auf die Seite der Kauf-Befürworter schlug, hat offenbar auch mit dem breiten Echo für einen solchen Schritt zu tun. Der Presse-Tenor sei von dem Vorgang "stark dominiert", räumte Schäubles Sprecher ein. Selbst die "Frankfurter Allgemeine" stellte unumwunden fest, dass der hehre staatliche Grundsatz, mit Kriminellen dürfe man keine Geschäfte machen, schon immer seine Ausnahmen hatte: Der Rechtsstaat verhandle auch mit Terroristen und bezahle Spitzel, "damit sie ihm aus dem Untergrund oder zweifelhaften Organisationen Informationen liefern". Bereits vor zwei Jahren waren die moralischen und juristischen Aspekte beim Erwerb gestohlener Finanzdaten breit diskutiert worden. Damals hatte der Bundesnachrichtendienst für die deutschen Steuerfahnder eine Liste mit mutmaßlichen Steuersündern in Liechtenstein gekauft und dafür fünf Millionen Euro bezahlt. Bislang profitierte der Fiskus von der Aktion mit mehr als 100 Millionen Euro. Die schwarz-rote Bundesregierung argumentierte seinerzeit, dass sich ein Beweisverwertungsverbot in erster Line auf Informationen erstrecke, die etwa durch Folter oder illegales Abhören gewonnen würden. Ein Gerichtsurteil über die Frage gestohlener Bankdaten und ihre juristische Verwendung gibt es in Deutschland bis heute nicht. Am Ende zahlten die Steuersünder lieber kleinlaut, als ihren Fall an die große Glocke zu hängen. Auch der Hauptsünder im Lichtenstein-Fall, Ex-Postchef Klaus Zumwinkel, beglich seine Steuerschuld umgehend, weshalb ihn ein Gericht im Vorjahr lediglich zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilte. In besonders schweren Fällen drohen Steuerhinterziehern in Deutschland bis zu zehn Jahre Haft. Nach den Worten des niedersächsischen Finanzministers Hartmut Möllring (CDU) würde sich ein staatlicher Ankauf von Schweizer Konten-Informationen erübrigen, wenn sich die Regierung in Bern auf "ein vernünftiges Doppelbesteuerungsabkommen" mit Deutschland einigen könnte. Dann wäre es nicht mehr möglich, "dass Menschen in die Schweiz gehen mit ihrem Geld, um hier Steuern zu hinterziehen", meinte Möllring. Über ein solches Abkommen wird derzeit verhandelt. Neben vielen zustimmenden Äußerungen gab es gestern auch wieder Kritik am möglichen Datenerwerb. So machte der Bund der Steuerzahler datenschutzrechtliche Einwände geltend. Möglicherweise befänden sich auch Informationen von ehrlichen Steuerzahlern auf der CD, sagte Verbandspräsident Karl Heinz Däke unserer Zeitung. Dann werde wohl auch gegen sie erst einmal strafrechtlich ermittelt. Um einen Datenhandel künftig auszuschließen, solle die Bundesregierung auf eine europäische Lösung setzen, meinte Däke.Meinung

Merkels Notbremse

Von SZ-KorrespondentStefan Vetter In der hitzigen Diskussion über das Für und Wider zwielichtiger Mittel zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung hat Angela Merkel überraschend schnell Klartext geredet und die Gerechtigkeit über das Bankgeheimnis gestellt. Eine umsichtige Entscheidung. Denn alles andere hätte das fatale Grundgefühl weiter bestärkt, dass diese Regierung nur Klientelpolitik betreibt - siehe Steuernachlässe für Erben und Hotelbesitzer. Wenn bei Hartz-IV-Empfängern selbst ein paar zu viel gezahlte Cent akribisch eingetrieben werden, dann ist es genauso recht und billig, diese Sorgfalt auch bei den Begüterten dieses Landes walten zu lassen. Wer den Staat dabei in der Rolle des Hehlers wähnt, der sollte bedenken, dass Länder wie Liechtenstein und die Schweiz es geradezu darauf anlegen, den Fiskus anderer Staaten zu betrügen. Auf der systematischen Steuerhinterziehung fußt dort gewissermaßen das Geschäftsmodell vieler Banken. So lange das so bleibt, sind die legalen Wege versperrt, um heimischen Steuersündern habhaft zu werden. Insofern hat der deutsche Staat praktisch keine andere Wahl, als Informationen aus dunklen Quellen zu nutzen. Vielleicht hat Merkels Entscheidung ja auch einen heilsamen Effekt für alle noch unentdeckten Steuersünder. Jedenfalls können sie sich immer weniger sicher sein. Dass sich diese Botschaft auch ganz gut für die anstehenden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen macht, ist natürlich kein Zufall. Aber wenn's der Sache dient, umso besser.

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