Politik und Promille vor dem großen Wahlkampf-Sturm

Berlin. Es sind kühle Spätsommerabende, an denen sich nach der langen Parlamentspause die Politik in Berlin wieder warmläuft

Berlin. Es sind kühle Spätsommerabende, an denen sich nach der langen Parlamentspause die Politik in Berlin wieder warmläuft. Franz Müntefering raucht Zigarillo und genießt in der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen den zurückgewonnenen Trubel; Andrea Ypsilanti träumt in der hessischen Botschaft vom Ministerpräsidentenamt; Kurt Beck ist wieder obenauf, und Günther Beckstein will das Auto dann doch lieber stehen lassen, wenn er zur Maß Bier gegriffen hat. Auf ungewöhnlich vielen Festen feierte die Politik in der Haushaltswoche die Probleme einfach weg. Aus gutem Grund: In einer Woche dürfte sich das politische Klima verändern, wenn in Bayern ein neuer Landtag gewählt worden ist.Franz Müntefering zeigt Gesicht. Er hat beim "Fest des Westens" in der NRW-Vertretung keine ruhige Minute, "deswegen bin ich hier", grinst der neue/alte SPD-Frontmann. "Herzlichen Glückwunsch zur Nominierung", ruft ihm jemand zu, "aber nicht gleich wieder Ypsilanti anrufen". Selten so gelacht. Das Telefongespräch eines Stimmenimitators mit der hessischen SPD-Chefin hat für viel Wirbel gesorgt. Münte nimmt es gelassen. Die Genossen drängeln sich zu ihm wie zu einem Heilsbringer, die Journalisten auch, Stück für Stück erobert der künftige SPD-Chef in der ersten Parlamentswoche Berliner Terrain zurück. Fast keine Fete ohne Münte. Im Willy-Brandt-Haus hat er bereits Fakten geschaffen: neuer Bundesgeschäftsführer, neuer Sprecher, aber alles alte Vertraute. Müntefering rüstet sich für die Zeit nach der Bayern-Wahl. Fakten schaffen würde am liebsten auch die hessische Landesgruppe der SPD-Bundestagsfraktion. Bei ihrem Grillfest in der Landesvertretung Hessen klatscht sie Andrea Ypsilanti förmlich ins Amt. Als "zukünftige Ministerpräsidentin" wird die künftig von der Linken Tolerierte schon begrüßt. Sie wisse, dass es ein "diffuses Unbehagen" gebe, man gehe aber den "neuen Weg sehr verantwortungsvoll". Sicher, Applaus, Applaus. Ypsilanti ist in Berlin unterwegs, um für einen "Vertrauensvorschuss" zu werben. Sie bekommt ihn, aber eben nur von ihren Hessen. Der bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein versucht indes, sich kräftig gegen den Abwärtstrend zu stemmen. Vor dem Roten Rathaus in Berlin wird das traditionelle bayerische Oktoberfest in Preußen eröffnet. Und alles, was Rang und Namen und Bierdurst hat, ist gekommen - bis hin zur Kanzlerin. Politik und Promille nennt man das. SPD-Frau Andrea Nahles stiehlt den christsozialen Bayern im roten Dirndl mit tiefem Ausschnitt mal eben (absichtlich) die Schau. Da hilft es auch nicht, dass Beckstein seinen verbalen Ausrutscher auszubügeln versucht: "Ich wünsche uns einen schönen Abend, bei einer Maß Bier und vielleicht auch einer zweiten - aber damit das für jeden klar ist - das Auto bleibt zu Hause und wird nicht angefasst!" Das Steuer hat er kaum noch in der Hand, ob in Bayern oder vor dem Roten Rathaus. Kurt Beck hingegen betritt beim Rheinland-Pfalz-Fest erstmals wieder Berliner Boden nach seinem Rücktritt - und schwingt sich gleich auf eine 2,2 Tonnen schwere Tandem-Walze. Schöne Fotos gibt das von einem, der neue Kraft getankt hat, sich "stabil" fühlt und "grad noch ein bisschen Grüß Gott sagen" geht. "Provinz ist alles andere als etwas Negatives. Ich bin stolz darauf, Teil der Provinz Rheinland-Pfalz zu sein", ruft er den Gästen zu - "in diesem Zusammenhang begrüße ich die anwesenden Medienvertreter." Das Gelächter ist groß - und wann hat man zuletzt mit Beck was zu lachen gehabt? Müntefering ist übrigens nicht da. Bei den beiden ist keine Klimaveränderung in Sicht, auch nicht nach der Bayern-Wahl.

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