"Das Gefühl, nicht mehr rechtlos zu sein"
Karlsruhe/Lebach. Weniger Jubel als stille Genugtuung erfüllte Hermann Löw, als er am Freitag von höchstrichterlicher Stelle in Karlsruhe Recht bekam. Dabei stand der Falscheider im Mittelpunkt von fast 100 angereisten Zuhörern, für die der Bundesgerichtshof (BGH) die Verhandlung in einen größeren Saal verlegte, und allen, die im Saarland häufiger Grubenbeben ereilt haben
Karlsruhe/Lebach. Weniger Jubel als stille Genugtuung erfüllte Hermann Löw, als er am Freitag von höchstrichterlicher Stelle in Karlsruhe Recht bekam. Dabei stand der Falscheider im Mittelpunkt von fast 100 angereisten Zuhörern, für die der Bundesgerichtshof (BGH) die Verhandlung in einen größeren Saal verlegte, und allen, die im Saarland häufiger Grubenbeben ereilt haben. "Wir haben die gleichen Rechte wie jeder andere auch", ist das schlichte Fazit, aus dem Löw aber große Kraft schöpft. "Die RAG hatte argumentiert, dass die von Bergbau Betroffenen mehr als andere Bürger erdulden müssten."
Erleichtert zeigte sich daher der Sprecher des Landesverbandes der Bergbau-Betroffenen, Peter Lehnert: "Es ist gut, dass das Bergrecht mal einen Dämpfer erhalten hat." Denn der BGH revidierte die Sicht des Landgerichts Saarbrücken, wonach außerhalb des Bergrechts keine Ausgleichsforderungen für Abbaufolgen einklagbar seien.
Löw, der neben Gebäudeschäden seit 2001 durch Bergsenkungen Hunderte von bergbaubedingten Erdstößen erdulden musste, hatte nach dem Nachbarrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) unzumutbare Beeinträchtigungen geltend gemacht und für den Zeitraum von Oktober 2004 bis März 2006 einen finanziellen Ausgleich für die Wohnwertminderung von zehn Prozent der möglichen Mieteinnahmen gefordert. Das Amtsgericht Lebach hatte ihm 1100 Euro zugesprochen (siehe Infokasten), was das Landgericht Saarbrücken aufhob. "Das Landgericht Saarbrücken muss seine Hausaufgaben neu machen", sagte Löw. Jetzt gehe es noch um die Details der Schadenshöhe. Wegen der Prozesskosten habe man den Streitwert so gering wie möglich gehalten. "Für mich springt finanziell nicht viel heraus, aber es geht nicht um mich. Das Urteil ist eine Erleichterung für alle Bergbau-Betroffenen. Es gibt uns das Gefühl, dass wir nicht mehr rechtlos einem so mächtigen Konzern gegenüberstehen." Die Kommune Lebach habe ihm den Gang vor Gericht in drei Instanzen erst ermöglicht. "Ohne die Unterstützung meiner Heimatstadt hätte ich den Prozess nicht führen können", betonte Löw.
RAG: Keine Klage mehr nötig
Löws Anwalt aus Lebach hat bereits mehr als 70 Mandanten mit gleich gelagerten Fällen. "Das war eine juristische Erderschütterung in Karlsruhe", sagte Rolf Friedrichs. "Jetzt wird es Tausende von Antragstellern geben und das wird die RAG eine Stange Geld kosten. Wir sind erst noch dabei, uns klarzumachen, welche Konsequenzen das haben kann", berichtete er der SZ. Der BGH hat lediglich festgelegt, dass das Nachbarrecht neben dem Bergrecht Bestand habe. Nun sei zu klären, wie hoch die Messlatte angelegt werde, um festzustellen, für welche Monate ein Entschädigungsanspruch entstehe.
Die RAG will abwarten, welche Kriterien das Landgericht für Dauer, Häufigkeit und Stärke der bergbau-bedingten Erderschütterungen aufstellt, sagte Unternehmenssprecher Karlheinz Pohmer. "Damit ermitteln wir anhand der Daten der Seismographen, auf welche Betroffenen das zutrifft und berücksichtigen sie in der Schadensregulierung." Dazu müsse nicht jeder Einzelne klagen, sondern nur seinen Anspruch anmelden. "Alle Ansprüche, die beim Urteil des Amtsgerichts Ende März 2007 noch nicht verjährt waren, bleiben bestehen", erklärte Pohmer. Das betrifft Erdstöße ab 2004, alle davor betrachte die RAG allerdings als verjährt.
Meinung
Leitbild für
gute Nachbarn
Von SZ-Redakteur
Harald Knitter
Egal wie hoch die Ausgleichszahlung am Schluss sein mag, die Grundsatz-Entscheidung des Bundesgerichtshofs rückt gerade, dass nicht jede Bergbau-Folge für das Gemeinwohl hinzunehmen ist. Kohleabbau richtet nicht nur Sachschäden an, die zu reparieren sind, sondern die Anwohner büßen durch häufige Grubenbeben auch Lebensqualität ein. Das Nachbarrecht besagt nicht, dass jede Beeinträchtigung zu unterbleiben hat. Aber wenn sie ein bestimmtes Maß überschreitet, ist ein gerechter Ausgleich zu gewähren. So kann diese Rechtsphilosophie Vorbild für die verbleibenden Jahre des Saar-Bergbaus sein.
Da ist gut, den Abbau auf erschütterungsärmere Gebiete zu begrenzen. Da ist nötig, dass das Bergamt zur Auflage gemacht hat, dass keine großen Erdstöße mehr auftreten.
Hintergrund
Als unzumutbar definierte das Amtsgericht Lebach Erdstöße über längere Zeit (mehr als ein Jahr) und gehäuft (im Schnitt mehr als drei im Monat), soweit einige geeignet sind, das Haus zu schädigen: bei Wohnhäusern gilt das laut DIN 4150 ab fünf Millimetern pro Sekunde. Relevant sind laut Gericht Monate, in denen der Wert zwei Mal oder der doppelte Wert einmal übertroffen wird.