"Mein Engel wurde umgebracht - in meinem Bauch"

Soraya" steht in großen schwarzen Buchstaben auf dem Holzkreuz. Ein Gesteck in Herzform mit weißen Rosen und eine Kerze schmücken das gepflegte Grab auf dem Friedhof in einem Ortsteil von Wadgassen. Helen K. (Name geändert) kniet vor der Grabstelle ihres Kindes. Tränen laufen über ihre Wangen. Die junge Frau besucht den Friedhof nur in Begleitung

 Helen K. besucht regelmäßig das Grab ihrer kleinen Tochter Soraya. Fotos: Ruppenthal

Helen K. besucht regelmäßig das Grab ihrer kleinen Tochter Soraya. Fotos: Ruppenthal

Soraya" steht in großen schwarzen Buchstaben auf dem Holzkreuz. Ein Gesteck in Herzform mit weißen Rosen und eine Kerze schmücken das gepflegte Grab auf dem Friedhof in einem Ortsteil von Wadgassen. Helen K. (Name geändert) kniet vor der Grabstelle ihres Kindes. Tränen laufen über ihre Wangen.

Die junge Frau besucht den Friedhof nur in Begleitung. Ihre Mutter (54), eine gelernte Krankenschwester, steht ihr zur Seite. Sie und die ältere Schwester waren auch bei der Geburt des Mädchens, das nie das Licht der Welt erblickt hat, dabei. Soraya war tot, als sie am 24. Februar 2008, einem Sonntag, um 20.57 Uhr geboren wurde. Auf der Erinnerungskarte, die fürsorgliche Schwestern, die Hebamme und Ärzte der Saarlouiser Elisabeth-Klinik Helen mitgegeben haben, ist ein Fußabdruck des Babys zu sehen, das in der 29. Schwangerschaftswoche entbunden werden musste. Soraya war 38 Zentimeter groß und wog 1280 Gramm. "Mein kleiner Engel", sagt Helen. Die Karte mit dem winzigen Fußabdruck und das rosafarbene Plastik-Armbändchen mit Sorayas Namen hütet sie wie ihren Augapfel. Sie sagt: "Mein Engel wurde umgebracht - in meinem Bauch."

Das Baby starb im Mutterleib an den Folgen schwerster Misshandlungen, brutaler Schläge und Tritte. Der Ex-Freund der 23-jährigen Verkäuferin, der Vater des Kindes, wurde deswegen diese Woche vom Saarbrücker Landgericht zu 13 Jahren Haft verurteilt - wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung an Helen und Abtreibung gegen den Willen der Schwangeren. Helen trat in dem Prozess mit ihrer Saarlouiser Anwältin Ursula Trappe als Nebenklägerin auf.

Die junge Frau erzählt von ihrem früheren Freund, einem in Saarbrücken geborenen Marokkaner. Immer wieder greift sie sich dabei nervös in ihre zu einem Pferdeschwanz gebundenen blonden Haare. Den heute 21-Jährigen hatte sie an einem Freitag im Juni letzten Jahres in einer Saarbrücker Diskothek beim Tanzen kennen gelernt. Damals war "Mo", wie sie den gelernten Einzelhandelskaufmann nennt, "lieb, goldig, supercharmant". Zwei Wochen später waren beide ein Paar. Der sportliche Nichtraucher imponierte ihr als Beschützer und mit seinem ruhigen, souveränen Auftreten. "Mo" ist Moslem. Religion spielte, so schildert es Helen, in der Beziehung auch eine Rolle. Er wollte zum Beispiel, dass sie ein Lippenpiercing entfernt, und "Schatzi" forderte auch, dass sie im Ramadan mit ihm fastete und auf Alkohol verzichtete.

Helen im Rückblick: "Ganz zart, aber bestimmend, hat er versucht, mich Richtung Koran zu drängen." Die große Liebe währte allerdings nur kurz. "Wir hatten uns nichts mehr zu sagen. Ihm ging es nur um das eine: Sex", erinnert sich die Frau. Ende August war Schluss mit der Beziehung. Mitte September merkte Helen, dass sie schwanger war. Sie meldete sich bei per Handy bei "Mo" und offenbarte ihm bei einem Treffen: "Ich bin schwanger!" Für ihn sei es ein Schock gewesen, er habe aber verständnisvoll reagiert, sie umarmt und dann gleich von Abtreibung gesprochen. Die Liebe flammte wieder kurz auf, bis sie ihm Anfang Oktober sagte: "Ich behalte das Kind auf jeden Fall." Seine Reaktion fasst Helen in drei Sätzen zusammen: "Ich kann mit einer Deutschen kein Kind haben. Ich weiß nicht, wie ich das meinen Eltern beibringen soll. Lösche bitte meine Handynummer." Seine Eltern hat Helen bis heute nicht getroffen.

Es folgten vier Monate absolute Funkstille. Helen fand eine Wohnung und bereitete sich auf ein Leben als allein erziehende Mutter vor. Sie freute sich auf ihr Kind. Unterstützt wurde sie von ihrer Familie: "Meine Mutter war die starke Frau an meiner Seite. Sie hat meinem Papa beigebracht, dass ich ein Kind erwarte. Jeden Abend hat sie für das Baby gestrickt. Sie war auch beim Frauenarzt dabei."

Im Januar stand "Mo" plötzlich an ihrem Arbeitsplatz in einem Feinkostgeschäft. Bei einem anschließenden Treffen wollte er wissen, ob sie ihn als Vater eintragen lasse. Helen: "Irgendwie habe ich mich gefreut, dass er wieder da war. Er ist doch der Papa." Aber das Misstrauen wuchs. "Ich habe mich nicht wohl gefühlt. Er hat mir erzählt, was ich hören wollte, aber ich habe ihm nicht geglaubt", erzählt die Frau. Er durfte seine Hand nicht auf ihren Bauch legen, das ungeborene Kind nicht fühlen.

Am Freitag, 22. Februar 2008, stand er abends wieder mit seinem silbernen Hyundai vor der Tür. Sie wollte kein Treffen, stieg aber schließlich doch in das Auto ein ("Er ist doch der Vater meines Kindes"). Obwohl sie ihm sagte, dass sie keine Zeit habe, fuhr er mit ihr stundenlang durch das Saarland, wollte wissen, wie sie sich die Erziehung des Kindes vorstelle, wie oft er das Kind sehen könne. Helen greift wieder in ihr langes Haar: "Ich habe ihm gesagt, dass er das Kind sehen kann, es aber bei mir bleibt." Die Religion wurde wieder zum Gesprächsthema. "Mo wollte, dass das Baby nach dem Islam erzogen wird. Das habe ich rigoros abgelehnt."

Spätabends, gegen 22 Uhr, endete die Fahrt an einer abgelegenen Stelle im Dillinger Hafen. Was dann geschah, hielt Oberstaatsanwalt Josef Pattar in einer detaillierten Anklageschrift fest: Helen wurde von dem Vater ihres Kindes an den Haaren und an der Kleidung aus dem Auto gezerrt. Er schlug ihr ins Gesicht, warf sie zu Boden, trat ihr gezielt gegen den Bauch und den Brustkorb. Für weitere wuchtige Tritte nahm er mehrere Schritte Anlauf. Er traf die Frau mit den Spitzen seiner Schuhe in den Unterleib. Helen versuchte zu flüchten, hielt schützend ihre Arme vor den Bauch. Der Marokkaner riss sie wieder zu Boden, trat weiter auf sie ein. In der Hoffnung, dass er aufhört, entschuldigte sie sich sogar bei ihm. Doch er schlug weiter zu, riss ihre Arme weg, trat mit voller Wucht von oben mit dem ganzen Fuß gegen den Bauch. Die Gerichtsmedizin fotografierte später einen Abdruck des Schuhs auf dem Bauch der Hochschwangeren. Sogar die Schnürsenkel waren deutlich zu erkennen. 43 einzelne Verletzungen zählten die Ärzte: Platzwunden, Blutungen, Prellungen, Hämatome, gebrochene Rippen, abgebrochene Zähne, Kratzspuren und vieles mehr.

Die junge Frau denkt zurück an die Qualen. Sie weint und sagt: "Ich wusste in diesem Moment: Mein Kind ist tot. Die Fruchtblase war geplatzt. Ich habe ihm gesagt, er soll aufhören. Das Baby sei schon tot, wenn er mich umbringen wolle, solle er es anders machen." Der 21-Jährige trat aber weiter auf sein wehrloses und schwer verletztes Opfer ein. Helen: "Dann kam mein Lebensretter!" Sie erzählt von den Scheinwerfern eines schwarzen Autos, das vorbeifuhr. Der Schläger flüchtete. Helen wurde erst im Rettungswagen wieder kurz wach. Heute weiß sie, sie hat sich zu einem benachbarten Gelände geschleppt. Ein Wachmann alarmierte Notarzt und Polizei. In der Saarlouiser Elisabeth-Klinik stabilisierten die Mediziner die Schwerverletzte. Eine Ärztin sagte ihr, dass es von dem Baby keine Lebenszeichen mehr gibt. Soraya war tot! Helen macht sich Vorwürfe: "Mein Kind hat die schweren Tritte gegen mich abgefangen und ist deshalb gestorben. Ich habe überlebt. Das Baby hat mich beschützt. Normalerweise beschützt die Mutter doch ihr Kind."

Die Schwerverletzte musste trotz gebrochener Rippen aus medizinischen Gründen ihr totes Baby auf natürlichem Weg gebären. Die Geburt dauerte zwei Tage. Die Wehen wurden künstlich eingeleitet. Helen litt höllische Schmerzen. Ihre gesamte Familie stand ihr zur Seite. "Jeder war da. Das half mir sehr. Ärzte und Schwestern in der Klinik waren supernett und hilfsbereit." Mutter und Schwester waren im Kreißsaal dabei. Brüder und Vater warteten draußen. Am Sonntag, 24. Februar, kam die tote Soraya zur Welt. Helen: "Die Geburt war sehr schmerzhaft, aber das allerschönste, was ich je erlebt habe." Die Hebamme legte ihr das Kind in die Arme. Die Mutter konnte sich von ihrer kleinen Tochter verabschieden: "Sie sah aus, als würde sie tief schlafen."

Fünf Tage später war die Beerdigung. "Alle, die mir wichtig sind, waren dabei." Helens Onkel spielte Kinderlieder auf der Kirchenorgel. Der Pastor hat von Soraya erzählt. Auf dem Friedhof ist Helen zusammengebrochen.

Die 23-Jährige wurde von ihrer Familie gepflegt. Eine fünfwöchige Therapie in Bad Neustadt an der Saale half ihr wieder auf die Beine. Auch die Opferhilfe-Organisation "Weißer Ring" unterstützt Helen mit Rat und Tat. Mit ihrer Krankenkasse liegt sie im bürokratischen Streit darüber, ob sie Anspruch auf Mutterschafts- oder Krankengeld hat.

 Die Karte mit dem Fußabdruck Sorayas haben Mitarbeiter der Saarlouiser Elisabeth-Klinik für Helen K. angefertigt.

Die Karte mit dem Fußabdruck Sorayas haben Mitarbeiter der Saarlouiser Elisabeth-Klinik für Helen K. angefertigt.

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