Legt Putin es auf Krieg an?

Wladimir Putin provoziert: russische Kriegsschiffe vor Australien, Moskaus Kampfbomber im Luftraum der Nato und bis an die Grenze zu den USA, frische Kampftruppen in der Ost-Ukraine. Europa erstarrt zwar nicht in Angst.

Doch die Furcht vor neuen Eskalationen wächst. Das Europäische Parlament reagierte gestern auf seine Weise, indem es das Assoziierungsabkommen mit Moldawien ratifizierte. Jenem Land, in dem Ende dieses Monats gewählt wird und in dem der Kreml - wie in der Ukraine - mit Handelsversprechen und vielen Millionen den Wahlkampf Moskau-freundlicher Parteien unterstützt.

Gärt es schon wieder? "Niemand kann genau sagen, was der russische Präsident wirklich will", sagt Elmar Brok (CDU ), außenpolitischer Experte im Europäischen Parlament. "Vermutlich weiß Putin das nicht einmal selbst", ergänzt Alexander Graf Lambsdorff von der liberalen Europa-Fraktion. Ob der Kreml-Fürst nun tatsächlich vom historischen Traum des großrussischen Reiches aus dem 18. Jahrhundert angetrieben wird oder schlicht eine geopolitische Pufferzone assoziierter Länder um sich scharen will, wie es einst die Sowjetunion tat - für die westlichen Militärs sind zwei Dinge klar: Wegen der Ukraine wird man keinen Krieg führen. Und: Wenn auch nur ein Nato-Mitglied angegriffen wird, schlägt man zurück. "Wir tun gut daran, da keinen Zweifel aufkommen zu lassen", betont Lambsdorff. Doch auch er weiß, dass es ganz anders kommen könnte.

Die Kriegsführung hat sich im 21. Jahrhundert verändert. Vor Jahren wurden estnische Rechner attackiert. In der Ukraine tauchten Soldaten ohne Hoheitszeichen auf. Die Nato wird sich neu aufstellen müssen, heißt es in Brüssel . "Wo es keinen Krieg gibt, kann man ihm auch nicht begegnen. Verteidigen muss man sich trotzdem", meint ein hoher Militär im Hauptquartier der Allianz. Aber hat der Westen nicht auch eigene Fehler im Umgang mit Moskau gemacht, russische Sicherheitsinteressen übersehen? Die Legende von den amerikanisch-europäischen Patzern will in Brüssel niemand mehr wirklich mittragen. "Immer wieder hat man sich um eine Beteiligung Moskaus in der Ukraine-Frage bemüht, ist auf Bedenken Putins eingegangen", sagt Brok.

Das mag sein, ändert aber an der sogenannten "russischen Befindlichkeit" wenig: "Nach dem Ende des Kalten Krieges hat vor allem Washington Moskau als Verlierer gedemütigt, als ‚bloße Regionalmacht' hingestellt", sagt Lambsdorff. Am Ende machte man die einstige Supermacht zum kraftlosen Giganten, der nicht nur ideologisch verloren hatte, sondern zunehmend auch wirtschaftlich. Zwar konnte sich Russland vor allem unter Putin zur neuen Großmacht in Sachen Rohstoffe und Energie aufbauen, vergaß darüber aber die überfälligen Reformen der eigenen Wirtschaft. Das rächt sich längst bitter, sagen Beobachter. Selbst der Versuch des Kreml, die brüchiger werdenden Geschäftsbeziehungen zum Westen durch eine neue Freundschaft Richtung China zu ersetzen, entpuppte sich als schwerer politischer Fehlschlag: "In Peking sitzen pragmatische Machtspieler, die den Russen kein bisschen über den Weg trauen", sagen Beobachter. Das Ergebnis: Russland konnte zwar einen Gas- und Öl-Deal abschließen, der Milliarden sichert, musste seine kostbaren Rohstoffe aber zum Selbstkostenpreis verkaufen.

Von einer Würdigung der stolzen russischen Seele konnte wahrlich keine Rede sein. In dieser Situation fürchten viele, dass Putin sich am Ende in der Rolle des angeschlagenen und wütenden russischen Bären wiederfindet, der - durch die Sanktionen der EU - vollends in die Enge getrieben wird und dann irrational reagieren könnte. Das will in Brüssel niemand hören, schließlich brauche der russische Präsident nur das Völkerrecht wieder herzustellen, um die Beziehungen zu normalisieren und an der Zukunft seiner Satelliten-Staaten mitzuwirken. "Wir wollen Putin nicht in die Enge treiben", sagt Lambsdorff.

Die Botschaft der Union ist aber klar: Sie lässt sich nicht aufhalten, wie der gestrige Schulterschluss mit Moldawien zeigt. Die Antwort aus Moskau scheint nicht weniger missverständlich: Die Drohungen werden mehr. Noch gibt es keine wirkliche Eskalation, aber eben auch keine echte Entspannung. Am Montag treffen die Außenminister der 28 EU-Mitgliedstaaten in Brüssel zusammen. Sie werden darüber beraten - wieder einmal.

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