„Ich wollte die Sache einordnen“

Berlin · Der Innenausschuss des Bundestags hat gestern BKA-Chef Jörg Ziercke und SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann zum Fall Edathy befragt. Dabei wurde Oppermann vom BKA-Präsidenten entlastet.

Um Punkt 16.30 Uhr geschieht vor den Türen des Bundestags-Innenausschusses etwas rundweg Ungewöhnliches: Ein Politiker kriecht zu Kreuze. "Mir tut es aufrichtig leid", gibt SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann reumütig zu Protokoll, "dass durch meine Veröffentlichung Hans-Peter-Friedrich zum Rücktritt gebracht wurde." Eine Entschuldigung vor einem Dutzend Kameras, die nicht nur, aber auch wie bestellt, wie verlangt klingt. Der Druck der letzten Tage ist Oppermann gleichwohl ins blasse Gesicht geschrieben. Der Satz ist jetzt sein Friedensangebot an den aufgebrachten Koalitionspartner Union.

In der Sitzung des Innenausschusses wird aus Sicht der großen Koalition ein wichtiges politisches Rätsel gelöst: Das ist der ominöse Anruf Oppermanns bei BKA-Präsident Jörg Ziercke und eine mögliche strafrechtliche Relevanz. Ziercke zückt nach der Befragung im Ausschuss eine vorgefertigte Erklärung. Ab Seite sieben wird es spannend, da geht es um den besagten Anruf am 17. Oktober 2013, als um 15.30 Uhr in Zierckes Wiesbadener Büro das Telefon klingelt. Am anderen Ende der Leitung: Oppermann. "Ich war wirklich überrascht", so der BKA-Chef selbstbewusst. Drei bis vier Minuten dauert das Telefonat, in dem der SPD-Mann darlegt, er wisse von dem Verdacht gegen Edathy in Zusammenhang mit Online-Bestellungen in Kanada "mit Ausrichtung auf die pädophile Szene". Er wisse auch, dass das sichergestellte Material strafrechtlich nicht relevant sei.

In der Phase des Gesprächs, berichtet Ziercke, habe Oppermann gemerkt, "dass ich spürbar angespannt war. Und für mich persönlich auch erkannte, dass die Grenzen freundlicher Kommunikation bereits nahe rückten". Er habe sich selbst verordnet, "nicht etwas zu kommentieren. Herr Oppermann stellte keine Fragen, er bedrängte mich auch nicht. Mein Eindruck war, dass er besorgt war". Lag darin der eigentliche Grund des Anrufs? Oppermann macht im Ausschuss deutlich, er sei "schockiert und fassungslos" gewesen angesichts der Informationen, die er von SPD-Chef Sigmar Gabriel über Edathy erhalten habe. "Aus diesem Grund habe ich Herrn Ziercke angerufen. Ich wollte die Sache einordnen können."

Von einem Fehler spricht er nicht, was ihm einige Abgeordnete ankreiden. Dass er dann nach Bekanntwerden der Affäre erklärt habe, Ziercke habe ihm den Sachverhalt bestätigt, sei eine "missverständliche Formulierung" gewesen. "Das bedauere ich." Beim Gespräch mit Edathy am 8. November über dessen politische Zukunft habe er keine Andeutungen gemacht, betont der SPD-Fraktionschef noch. Oppermanns Äußerungen zu dem Telefonat decken sich also mit denen Zierckes. Er könne keine "strafrechtliche Relevanz erkennen", erklärt der BKA-Chef. Es ist der entlastende Satz - und zwar für beide. Gleichwohl erfährt der Ausschuss, der am Abend noch Sigmar Gabriel und den damaligen Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier vernimmt, noch etwas Überraschendes: Den entscheidenden Hinweis auf Edathy gab die Polizeistation im niedersächsischen Nienburg, dem Wohnort Edathys.

Das BKA hatte zuvor eine Liste mit 80 Namen von "Fällen mit geringerer Priorität" bei der Strafverfolgung von Pädophilie an alle Landeskriminalämter weitergeleitet, die wiederum die Namen zur Ermittlung der genauen Wohnorte an die jeweiligen Polizeistationen schickte. Erst in Nienburg fiel auf, dass es um den Abgeordneten Edathy ging. Damit ist klar: Es gab mehr Menschen als angenommen, die von dem Verdacht gegen Edathy wussten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort