„Schwarzer Tag der Demokratie“

Istanbul · Die Polizei-Razzien gegen Journalisten vom Wochenende drängen die türkische Regierung um den Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in die Defensive. Sogar im eigenen Lager erhebt sich Widerspruch.

Mit einer Sonderauflage von zwei Millionen Exemplaren reagierte die türkische Tageszeitung "Zaman" gestern auf die Festnahme ihres Chefredakteurs Ekrem Dumanli. Anhänger der Zeitung und der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen gingen in mehreren Städten der Türkei mit dem Blatt und der Schlagzeile "Schwarzer Tag der Demokratie " auf die Straße, um gegen die Festnahme von Dumanli und rund 30 anderen Betroffenen zu demonstrieren.

Mit den Kundgebungen wollte die Gülen-Bewegung zeigen, dass sie sich nicht einschüchtern lässt. Dafür gibt es viel Unterstützung. Selbst Journalisten , die Gülen sonst eher skeptisch gegenüber stehen, kritisierten das Vorgehen der Behörden und solidarisierten sich mit den Festgenommenen. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan reagierte gereizt, wies alle Vorwürfe zurück und sagte, insbesondere die EU solle sich mit Ratschlägen zurückhalten. Doch sogar im Regierungslager erhebt sich Widerspruch: Abülkadir Selvi, ein Parteigänger von Präsident Erdogan und Kolumnist der regierungsfreundlichen Zeitung "Yeni Safak", brandmarkte die Festnahmen als falsch und schädlich. Falls die Führung gehofft haben sollte, sich mit den Festnahmen der Medienvertreter kurz vor dem Jahrestag der Korruptions-Enthüllungen am morgigen Mittwoch etwas Luft verschaffen zu können, dann hat sie sich verrechnet. Ein Jahr, nachdem Istanbuler Staatsanwälte mehrere Dutzend Verdächtige aus dem Umfeld der Erdogan-Regierung unter dem Verdacht der Bestechlichkeit festnehmen ließen, wird mehr über Willkür, Aushöhlung des Rechtsstaates und Nepotismus geredet als je zuvor.

Beobachter wie der Erdogan-kritische Journalist Emre Uslu vermuten, dass die Regierung mit den Festnahmen der Gülen-Leute juristische Fakten schaffen will, um bei den USA die Auslieferung des in Pennsylvania lebenden Predigers beantragen zu können. Erdogan hat US-Präsident Barack Obama bereits persönlich um eine Auslieferung gebeten, doch weder in den USA noch in der Türkei gibt es Gerichtsurteile, die einen solchen Schritt begründen könnten. Nun meldeten regierungsnahe türkische Zeitungen, die Staatsanwaltschaft sehe den Prediger als Drahtzieher der angeblichen Machenschaften, die Dumanli und den anderen Festgenommenen vorgeworfen werden. Doch die Festnahme könnte sich als Schuss erweisen, der für Erdogan nach hinten losgeht: Der Präsident musste nicht nur erleben, dass die "Zaman"-Journalisten in der Öffentlichkeit als Opfer von Willkür gesehen werden. Er musste auch erkennen, dass das Thema Korruption mit neuen Entwicklungen auf die Tagesordnung zurückkehrt. Etyen Mahcupyan, ein armenischstämmiger Intellektueller und Berater von Premier Ahmet Davutoglu, forderte eine transparente Aufarbeitung der Korruptionsvorwürfe durch die Regierung. Vizepremier Bülent Arinc gestand ein, dass einige Politiker und Bürokraten ihren Verwandten gut dotierte Posten zugeschoben haben, ohne dass die dafür offiziell nötigen Qualifikationen vorhanden waren.

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