Erdogans schärfster Widersacher

New York · Erdogan zeigt gern auf „dunkle Mächte“, wenn seine Herrschaft infrage gestellt wird. Den Putschversuch schreibt er der mächtigen Bewegung Fethullah Gülen zu. Der Prediger lebt in den USA.

Für die einen ist er der Vertreter eines modernen Islam , der den hohen Wert der Bildung betont und Schulen baut, für die anderen ein finsterer Strippenzieher, der Intrigen gegen die Regierungen der Türkei spinnt: Fethullah Gülen . Der seit 1999 im US-Staat Pennsylvania lebende Prediger soll den Putschversuch gegen Recep Tayyip Erdogan organisiert haben, sagt der türkische Präsident. Er fordert die Auslieferung des 75-Jährigen. Gülen kontert, er beschuldigt Erdogan, den Putsch inszeniert zu haben, um den Druck auf seine Bewegung in der Türkei zu erhöhen.

Gülen liegt nicht zum ersten Mal mit den Mächtigen in der Türkei über Kreuz. Der aus dem ostanatolischen Erzurum stammende Prediger wurde schon Mitte der 1960er Jahre zum ersten Mal festgenommen, auch nach dem Putsch von 1971 wurde er interniert. Als die Militärs neun Jahre später erneut die Macht an sich rissen, stellte sich Gülen auf die Seite der Generäle. In den 90er Jahren war er auf dem Höhepunkt seines Einflusses: Seine Bewegung, die über hunderttausende Anhänger verfügt, galt unter dem islamistischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan als Republik-kompatible Alternative zum politischen Islam .

Gülens Lehren werden häufig als Ausdruck eines sanften Islam charakterisiert, der Muslime auffordert, sich in der modernen Welt zu etablieren und eine möglichst gute Ausbildung anzustreben. Der islamische Prediger ist aber auch ein überzeugter Nationalist. Kritiker weisen jedoch auf seine dunklen Seiten hin: So befürwortet er in der Kurdenfrage eine harte Linie, lehnt den modernen westlichen Lebensstil ab und betreibt eine "Verklärung des Osmanischen Reiches als türkisch-muslimische Großmacht".

Ende der 1990er Jahre jedoch drängte das türkische Militär Erbakan zum Rücktritt. Gülen stand wegen "Ausnutzung der Religion für politische Ziele" vor Gericht, er floh 1999 in die USA, wo er bis heute lebt. Lange Jahre unterstützten die Gülen-Anhänger, die in der Türkei in Justiz und Bürokratie aufstiegen und starke Seilschaften bildeten, Erdogan und dessen Regierungspartei AKP.

Der Bruch kam vor drei Jahren, als Gülen Präsident Erdogan zu mächtig wurde. Er warf Gülen die Bildung "paralleler Strukturen" im Staatsapparat vor und begann mit der Entfernung von Gülenisten aus dem Staatsdienst. Die bis heute andauert. Gülen-Anhänger sprechen von einer Hexenjagd. Der Prediger geht kurz nach dem gescheiterten Putsch weiter und vergleicht die Erdogan-Anhänger in der Türkei mit "Hitlers SS" in einem diktatorischen System: "Sie tolerieren keine Gruppe, die nicht von ihnen kontrolliert wird."

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