Neuauflage nicht in Sicht

Berlin. Der Zerfallsprozess war lang und quälend. Doch das endgültige Ende kam dann doch ganz plötzlich. Heute vor 30 Jahren platzte die Koalition von SPD und FDP. Nach 13 Jahren war der Vorrat an Gemeinsamkeiten endgültig erschöpft

Berlin. Der Zerfallsprozess war lang und quälend. Doch das endgültige Ende kam dann doch ganz plötzlich. Heute vor 30 Jahren platzte die Koalition von SPD und FDP. Nach 13 Jahren war der Vorrat an Gemeinsamkeiten endgültig erschöpft. Eine Ära, die 1969 mit Willy Brandts "Mehr Demokratie wagen" eröffnet worden war, ging zu Ende, als SPD-Kanzler Helmut Schmidt an diesem Tag das sozialliberale Bündnis aufkündigte. Die vier FDP-Minister hatten kurz zuvor ihren Rücktritt eingereicht. Die Folgen waren einschneidend: Mit FDP-Hilfe wurde CDU-Oppositionsführer Helmut Kohl am 1. Oktober 1982 in Bonn durch ein konstruktives Misstrauensvotum zu Schmidts Nachfolger. Nach dem kühnen Wendemanöver blieben die Liberalen an der Regierung. Die SPD trat den 16 Jahre langen Weg in die Opposition an.Schon im Frühjahr 1982 waren die Differenzen in der Regierung fast unüberbrückbar geworden. Den Sprengsatz für den Bruch lieferte Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff am 10. September 1982. Sein 34 Seiten langes "Scheidungspapier" forderte härteste Eingriffe in den Sozialstaat. Als "unglaubliche Provokation" wies Kanzler Schmidt dies zurück. Fünf Tage später stellte er im Kabinett dem FDP-Chef und Außenminister Hans-Dietrich Genscher sowie Lambsdorff ein Ultimatum. Sie sollten innerhalb von "24 bis 48 Stunden" ihre Haltung zur Koalition erklären. Als die FDP auswich, trat Schmidt die Flucht nach vorn an. Er wolle nicht länger zusehen, wie die Handlungsfähigkeit der Regierung ständig beschädigt werde. "Es wird mir niemand verdenken, dass ich auch mich selbst nicht demontieren lassen will", sagte Schmidt im Bundestag.

Im Rückblick wunderten sich viele, dass die Koalition überhaupt so lange gehalten hatte. Vor allem der anhaltende Widerstand der Union gegen die Brandtsche Ostpolitik hatte beide Parteien eine Zeitlang zusammengeschweißt und die Trennung hinausgezögert.

Für die Linksliberalen in der FDP war das Scheitern des Bündnisses ein Schock. Prominente Wortführer wie Günter Verheugen oder Ingrid Matthäus-Maier wechselten zur SPD. Der Einfluss dieses zeitweise tonangebenden FDP-Flügels war schon vorher zurückgegangen. Nach Übernahme des Parteivorsitzes 1974 ging Genscher daran, die FDP aus der SPD-Umklammerung zu lösen.

Neben Erfolgen in der Deutschland- und Ostpolitik konnte das 1969 geschmiedete Bündnis auch in der Innenpolitik einiges vorweisen. Angetreten war man mit dem Anspruch, Staat und Gesellschaft grundlegend zu modernisieren. So wurden Straftatbestände wie Ehebruch und Homosexualitat unter Erwachsenen abgeschafft und die straffreie Abtreibung ermöglicht. Dazu kamen Bildungsreformen.

Sogar die Mitbestimmung wurde mit FDP-Stimmen ausgebaut und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in Gang gesetzt. In den 13 Jahren stiegen die Einkommen der Arbeitnehmer im Durchschnitt um 30 Prozent, die der Rentner sogar um über 40. Als der Ausbau des Wohlfahrtstaats an finanzielle Grenzen stieß, hatte das Bündnis ausgedient.

Seitdem haben sich beide Parteien nicht mehr viel zu sagen. SPD-Hoffnungen, bei der FDP könne der einstige "Bürgerrechts-Flügel" noch einmal richtig Fuß fassen, haben sich bislang nicht erfüllt. Als eine Art Betriebsunfall in der Parteigeschichte sehen viele der seit langem auf neoliberalem Kurs fahrenden Genscher-Erben die Regierungsphase mit der SPD. Allein aus arithmetischen Gründen ist die Neuauflage eines solchen Zweier-Bündnisses weitgehend ausgeschlossen.

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