Kampf der Kulturen im Kinderzimmer

Paris. Szene auf einem Kinderspielplatz in Paris. Eine Gruppe von Tagesmüttern sitzt zusammen, die Kinder spielen vergnügt. "Patricia, träume ich oder ist das deine Chefin?", sagt plötzlich eine von ihnen, als sich eine elegant gekleidete Frau mit entschlossenem Schritt und gerunzelten Augenbrauen nähert

Paris. Szene auf einem Kinderspielplatz in Paris. Eine Gruppe von Tagesmüttern sitzt zusammen, die Kinder spielen vergnügt. "Patricia, träume ich oder ist das deine Chefin?", sagt plötzlich eine von ihnen, als sich eine elegant gekleidete Frau mit entschlossenem Schritt und gerunzelten Augenbrauen nähert. "Patricia, das darf ja wohl nicht wahr sein, ich wusste es: Sie nehmen Martin nie aus seinem Kinderwagen!" Martins Tagesmutter verteidigt sich. "Doch, Madame, er war schon draußen, aber jetzt ist er müde, also habe ich ihn hingesetzt für seinen Imbiss." Madame beruhigt sich nicht. "Was ist das denn für ein fettiges Zeug?" "Das ist ein Bofloto, ein Kuchen aus der Elfenbeinküste, sehr lecker!" Solcher Kram mache ihr Kind krank und überhaupt werde Patricia nicht fürs Schwatzen bezahlt, zischt Madame. "Wir gehen!"Die Soziologin Caroline Ibos hat diese Auseinandersetzung zwischen einer berufstätigen Pariser Mutter und ihrer Angestellten, einer Nanny aus der Elfenbeinküste, mitverfolgt und aufgeschrieben. Sie schien ihr bezeichnend für die oft heiklen Beziehungen zwischen eingewanderten Tagesmüttern und ihren anspruchsvollen Chefinnen, die nicht nur unterschiedliche Vorstellungen von Kindererziehung haben, sondern auch von angemessener Behandlung. "Wer passt auf unsere Kinder auf? Die Nannys und die Mütter", heißt ihr Buch über den Zusammenstoß der Kulturen im Kinderzimmer. In Frankreich war es ein Erfolg; wohl auch, weil es so viele betrifft. Ein weißes Kind und eine afrikanische Tagesmutter, dieser Kontrast begegnet einem überall in den vornehmen Vierteln der Hauptstadt. Angesichts mangelnder Krippenplätze und einer hohen Zahl berufstätiger Mütter ist hier das Phänomen der "Nounou", wie die Nanny auf Französisch heißt, weit verbreitet. Die Französinnen, unter Druck durch die Doppelbelastung durch Familie und Beruf, vertrauen einer Fremden das Wertvollste an, das sie haben - ihren Nachwuchs. Und misstrauen ihr doch. Auch weil sie sich nicht damit auseinandersetzen, wer diese Fremde eigentlich ist und was sie antreibt, schreibt Ibos.

Es handelt sich meist um wirtschaftliche Migrantinnen, die in ihrer Heimat zur Mittelschicht gehören und in Paris eine unterbezahlte Arbeit annehmen - und zwar nicht aus Berufung. Sie halten die französischen Kinder für verzogen. In Afrika, bezeugt eine Nanny, bringt man Kindern Mut und Selbstständigkeit bei. In Europa packt man sie in Watte.

Drei Jahre hat Ibos recherchiert. Den "Nounou"-Markt beschreibt sie als aufgeladen mit Stereotypen: Die Asiatinnen gelten als ordentlich, aber kühl mit den Kindern; die Araberinnen als streng, aber zuverlässig, die Afrikanerinnen als nachlässig im Haushalt, aber mütterlich. Und weil die Tarife unterschiedlich sind, wird die Nationalität der Nanny zum Statussymbol in bürgerlichen Kreisen.

Zu den Einstellungskriterien gehört zudem die Verfügbarkeit: Um stets zur Stelle zu sein, sollte eine "Nounou" lieber keine eigenen Kinder oder diese in ihrer Heimat zurückgelassen haben.

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