„Kohl hatte einen großen Erfolg errungen“

Lafontaine: · Linken-Politiker Oskar Lafontaine war im Wahljahr 1990 als Kanzlerkandidat der SPD Gegenspieler von Helmut Kohl. Er galt als Skeptiker der deutschen Wiedervereinigung. Wie beurteilt er im Rückblick das „Wunder vom Kaukasus“? SZ-Redakteurin Iris Neu sprach mit ihm.

Herr Lafontaine, sicherlich können Sie sich an die Bilder, auf denen Helmut Kohl und Michail Gorbatschow so entspannt miteinander konferierten, bestens erinnern. Was ging Ihnen damals durch den Kopf?

Lafontaine: Ich war sehr über rascht, denn ich hätte nicht erwartet, dass Gorbatschow so ohne Weiteres zustimmt, die ehemalige DDR vollständig aus dem Einzugsbereich der Sowjetunion zu entlassen. Ich erkannte, dass Helmut Kohl als Kanzler einen großen Erfolg errungen hatte.

Hatte dieses Ereignis Ihre skeptische Haltung zur Wiedervereinigung verändert?

Lafontaine: Nein, ich lehnte nicht die Wiedervereinigung ab, sondern die Währungsunion mit dem Kurs eins zu eins. Und ich habe gesagt, die schnelle Einführung der D-Mark würde zu Massenarbeitslosigkeit und großen Zahlungen von West nach Ost und zu Steuererhöhungen führen. Das alles ist eingetreten, aber man wollte es damals nicht hören.

Wie ordnen Sie das damalige Treffen heute mit Blick auf die Nato ein?

Lafontaine: Gorbatschow hat - ebenso wie Putin - die Osterweiterung der Nato kräftig kritisiert. Er fühlte sich mächtig getäuscht, weil der Westen ihm versprochen hatte, das Bündnis nicht nach Osten zu erweitern. Damit war Gorbatschow nicht allein. Auch George Kennan, der Großmeister der US-Diplomatie, sagte, die Osterweiterung sei der größte Fehler der US-Außenpolitik nach dem Krieg. Und wenn man sich anschaut, was jetzt in der Ukraine passiert, muss man zur Erkenntnis gelangen, dass die Vereinigten Staaten eine fahrlässige Außenpolitik machen.

Sehen Sie - wie einige Historiker - einen Zusammenhang zwischen den damaligen Vereinbarungen Kohls und Gorbatschows und der Ukraine-Krise?

Es besteht kein Zweifel, dass viele Russen heute den Abzug aus Deutschland und den Zerfall der Sowjetunion als Demütigung empfinden. Das kann man ja täglich in Moskau hören. Sie glauben, durch den Rückzug eine Vorleistung gegenüber Deutschland erbracht zu haben. Und sie sind sehr enttäuscht, dass das Angebot Gorbatschows, Jelzins und Putins an den Westen, eine Sicherheitsarchitektur mit Nato und Russland aufzubauen, nicht aufgenommen wurde. Deshalb ist, wie von Kennan vorausgesagt, ein neuer Kalter Krieg entstanden.

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