„Wir waren alle miteinander zu langsam“

Berlin · Der Ansturm der Flüchtlinge hält an. Monatlich kommen Tausende nach Deutschland. Die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz (SPD) bereist zurzeit die Lager und Beratungsstellen. SZ-Korrespondent Werner Kolhoff sprach mit ihr über die aktuelle Situation.

 Aydan Özogus (SPD)Location:Nürnberg

Aydan Özogus (SPD)Location:Nürnberg

Foto: Daniel Karmann /dpa

Wieder hat es ein Unglück im Mittelmeer gegeben. Wann hört das auf?
Özoguz: Die besondere Tragik besteht bei diesem Unglück gerade darin, dass das Boot kenterte, als sich ein Marineschiff näherte. So wichtig die Seenotrettung ist, die Fahrt über das Mittelmeer bleibt lebensgefährlich. Wir müssen deshalb parallel zur Seenotrettung mehr dafür tun, dass die Menschen erst gar nicht in die Boote steigen.

Wie lange wird der jetzige Flüchtlingsansturm noch anhalten?
Özoguz: Das wäre Spekulation. Es hängt zum einen sicher von der Entwicklung in Krisenländern wie Syrien oder Eritrea ab. Das können wir kaum beeinflussen. In den europäischen Herkunftsländern auf dem Balkan können wir allerdings durch bessere Information etwas bewirken. Wir müssen den Menschen dort klar sagen, dass Asyl eben Asyl ist und sie, wenn sie politisch nicht verfolgt sind, mit entsprechenden Anträgen hier keine Chance haben. Viele machen sich Illusionen.

Würden die Bewerberzahlen schnell zurückgehen, wenn man alle Balkanländer zu sicheren Drittstaaten erklären würde?
Özoguz: Ich stelle mich nicht grundsätzlich dagegen, aber die Zahlen aus den schon zu sicheren Drittstaaten ernannten Ländern begründen nicht die Annahme, dass allein das schon zu erheblich kürzeren Verfahren führt. Dazu muss viel mehr geschehen.

Es gibt Vorschläge, die Bewerber aus dem Balkan von den anderen zu trennen, weil sie kaum Erfolgsaussichten haben. Bayern will sie sogar in gesonderten Zeltlagern unterbringen. Was halten Sie davon?
Özoguz: Von solchen gesonderten Zeltlagern halte ich nichts. Für alle muss die gleiche Rechtstaatlichkeit gelten. Aber es macht wenig Sinn, Menschen in die Nachbarschaften zu verteilen, die kaum Chance auf Asyl haben. Deshalb muss es bei der Bearbeitung Priorisierungen geben.

Was heißt das konkret für einen Kosovaren?
Özoguz: Dass er, wenn er nicht irgendeinen wirklichen Asylgrund hat, sehr schnell erfährt, ob er bleiben darf oder nicht und dass man ihm, wenn er zurückgeht, bestenfalls eine Hilfe zur Rückkehr gibt. Wir möchten, dass diese Menschen bei sich zu Hause möglichst schnell wieder Fuß fassen.

Waren die Behörden auf den Flüchtlingsansturm nicht ausreichend vorbereitet?
Özoguz: Wir waren alle miteinander zu langsam. Wir haben zum Beispiel jetzt die Einstellung von mehr Entscheidern beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beschlossen, aber die müssen noch geschult und eingearbeitet werden.

Ist diese Behörde mit ihren bald 5000 Mitarbeitern schnell und flexibel genug für die neue Lage?
Özoguz: Ich hoffe, dass sie noch flexibler wird, noch mobiler, und dass sie noch enger mit den örtlichen Ausländerbehörden zusammenarbeitet. Zum Beispiel direkt in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Dann hört auch das Hin- und Herschicken von Akten auf und es wird viel Zeit gespart.

In den 90er Jahren sprach man bei einem ähnlichen Ansturm sehr bald von den Grenzen der Aufnahmebereitschaft. Sehen Sie die jetzt auch nahen?
Özoguz: Wir müssen immer aufpassen, dass die Menschen gut informiert sind. Es gibt teilweise merkwürdige Vorstellungen, zum Beispiel, dass halb Afrika zu uns komme. Davon kann keine Rede sein. Ich merke, dass Transparenz zu einer merklichen Entspannung der Stimmung führt. Die, die Flüchtlingen helfen wollen, sind in Deutschland in einer deutlichen Mehrheit gegenüber denen, die teilweise aggressiv gegen Flüchtlinge und ihre Heime vorgehen.

Im Osten sind die Widerstände am größten und die Rechtsradikalen am stärksten. Kann es da richtig sein, wie Baden-Württemberg fordert, mehr Flüchtlinge dorthin zu schicken, weil es dort mehr freie Wohnungen gibt?
Özoguz: Ich würde mir wünschen, dass die Länder sich untereinander auch nach Kriterien ihrer Leistungsfähigkeit und Aufnahmemöglichkeiten verständigen, sehe aber wenig Bereitschaft am geltenden Verteilschlüssel etwas zu verändern.

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