Interview mit dem Grünen-Fraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter „Ein Kanzler Laschet wäre ein klimapolitischer Rückschritt“

Interview · Die Grünen sind laut einer Umfrage wieder im Aufwind und erreichen über 20 Prozent – trotz der vielen Patzer ihrer Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Fraktionschef Anton Hofreiter erklärt, warum das so ist und welche klimapolitischen Konsequenzen die Grünen aus der Hochwasser-Katastrophe ziehen wollen, wenn sie an die Regierung kommen.

 Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter ist promovierter Biologe.

 Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter ist promovierter Biologe.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Spielt die Hochwasser-Katastrophe zwei Monate vor der Bundestagswahl den Grünen in die Hände?

Hofreiter Das war eine der schlimmsten Naturkatastrophen der Nachkriegsgeschichte. Entscheidend ist jetzt nicht der Wahlkampf, sondern dass wir gemeinsam daraus Konsequenzen ziehen. Die großen Aufgaben, die wir jetzt anpacken müssen, schaffen wir nur in einem gemeinsamen Kraftakt. Wir müssen beim Katastrophenschutz, bei der Klima-Vorsorge und beim Klimaschutz besser werden. Denn solche Starkwetter-Ereignisse werden künftig häufiger auftreten.

Was wollen die Grünen beim Katastrophenschutz und bei der Klima-Vorsorge konkret umsetzen?

Hofreiter Es ist ein mir schwer verständliches Versäumnis, dass wir noch kein Cell Broadcasting haben. Das ist zusätzlich zu den bestehenden Warnwegen ein wirklich wichtiges System des Katastrophenschutzes, bei dem über das Handy jeder vorgewarnt werden kann. Das muss jetzt schnell kommen. Klima-Vorsorge, also die Anpassung an die Klimafolgen, muss zu einem Leitgedanken werden, da braucht es eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und Ländern. Praktisch heißt das: besserer Hochwasserschutz, verstärkte Dämme und Deiche, mehr Raum und Abflussrinnen auch für kleinere Flüsse, weniger Versiegelung von Flächen, einen anderen Umgang mit Mooren, Wäldern und generell den landwirtschaftlichen Flächen.

Wie viel müssen wir allein bei der Klima-Vorsorge zusätzlich investieren, um gegen Starkwetter-Ereignisse besser gewappnet zu sein?

Hofreiter Wir gehen für die nächsten zehn Jahre von 20 bis 25 Milliarden für eine bessere Klima-Vorsorge aus, der Wiederaufbau nach der Katastrophe wird sicherlich auch einen zweistelligen Milliardenbetrag kosten. Wir brauchen nach der Wahl in der Haushaltspolitik einen Fokus auf Investitionen, das muss oberste Priorität haben. Ich verstehe nicht, wie man angesichts dieser Herausforderungen riesige Steuersenkungen für die obersten zehn Prozent planen kann, wie es Union und FDP vorhaben.

Wollen Sie die Versiegelung von Flächen durch Bebauungen häufiger verbieten?

Hofreiter Wir müssen den Flächenverbrauch reduzieren, dafür gibt es vielfältige Ansätze. Die Innenstädte und Dorfkerne wieder attraktiver machen, statt immer mehr Außenflächen zu nutzen. Ein anderer Umgang mit versiegelten Flächen im Städtebau, das Stichwort lautet Schwammstadt. Das sind Städte, die bei Starkregen deutlich mehr Wasser aufnehmen können. Hier helfen mehr begrünte Dächer, mehr Parks, mehr Stadtgrün. Auch beim Straßenbau sollten wir künftig zurückhaltender sein, denn dadurch werden enorm viele Flächen versiegelt.

Bedeutet das auch, dass private Gärten nicht mehr mit Schotter oder gar Zement versiegelt werden dürfen?

Hofreiter Das sind zwar meist kleinere Flächen, aber auch das kann ein Beitrag sein. Grüne und CDU in Baden-Württemberg haben die Versiegelung von Gartenflächen bereits gesetzlich verboten, um für mehr Artenvielfalt und mehr Klimavorsorge bei Hitzeperioden oder Starkregen zu sorgen. Am Ende braucht es ein Zusammenspiel vieler verschiedener Maßnahmen.

Jenseits der Vorsorge wollen Sie den Klimaschutz sofort verschärfen, wenn Sie an die Regierung kommen. Was stellen Sie sich da konkret vor?

Hofreiter Wir brauchen ein Klimaschutz-Sofort-Programm. Nur wenn wir jetzt schnell handeln, haben wir noch eine Chance, dass wir die Erderwärmung begrenzen können. Es braucht Maßnahmen quer durch alle Bereiche. Wir sollten den Kohleausstieg von 2038 auf das Jahr 2030 vorziehen, das ist machbar, denn wir sehen heute bereits, dass selbst die Energieversorger früher aus der Kohle aussteigen wollen als bislang vorgesehen. Wir müssen den Ausbau der Erneuerbaren Energien sofort beschleunigen. Und wir sollten neue Prioritäten auch im Haushalt setzen. Klimaschädliche Subventionen wie das Dienstwagenprivileg sollten reduziert werden, zudem müssen wir die Investitionen in klimaneutrale Alternativen wie die Bahn massiv erhöhen. Wir wollen in den nächsten zehn Jahren zusätzlich 50 Milliarden Euro pro Jahr investieren, davon einen großen Teil in Klimaschutzmaßnahmen.

Macht Ihr potenzieller Koalitionspartner, die Union, dabei mit?

Hofreiter Die Union ist leider beim Klimaschutz ein Ausfall. Im Unions-Wahlprogramm steht zum Klimaschutz fast nichts drin und CDU und CSU reden noch dazu wild durcheinander: CSU-Chef Söder will einen schnelleren Kohleausstieg, CDU-Chef Laschet druckst herum. Söder will eine Solarpflicht auf allen Neubauten, kann sie aber im eigenen Bundesland nicht durchsetzen, Laschet ist ganz dagegen. Der CDU-Kanzlerkandidat glaubt sich in wichtigen Fragen wie dem Klimaschutz mit seiner Methode Rumlavieren, Abwiegeln, Beschönigen rauswinden zu können. Ich glaube, Armin Laschet verrechnet sich, da sind viele Menschen und Unternehmen beim Klimaschutz längst weiter als der Kanzlerkandidat der Union.

Was wollen Sie bei Dienstwagen ändern?

Hofreiter Wir sollten nicht mit Steuergeld den Kauf großer Verbrenner-Autos, die viel CO2 ausstoßen, subventionieren. Wir sollten die konkrete Klimabelastung zum Maßstab machen. Schwere Dienstwagen wie SUVs oder Limousinen mit starken Verbennermotoren sollten keine Steuervorteile mehr genießen.

Welche Zielmarke haben Sie beim Ausbau der erneuerbaren Energien?

Hofreiter Wir werden sehr schnell erhebliche Ausbaumengen bei Wind- und Solarstrom brauchen, wenn man bedenkt, dass wir für die E-Mobilität und die Herstellung von grünem Wasserstoff für die Industrie zusätzlich viel mehr Strom als bislang benötigen. Bis 2035 wollen wir 100 Prozent Erneuerbaren Strom erreichen. Das wird ein Kraftakt, aber es ist machbar und lohnt sich. Wir werden die jährlichen Ausschreibungsmengen deutlich erhöhen und das Planungsrecht anpacken. Es kann nicht sein, dass es weiterhin sieben bis acht Jahre dauert, um eine neue Windkraftanlage aufzustellen. Wovon wir uns verabschieden müssen sind überharte Abstandsregeln, wie sie die Union in Bayern und NRW eingeführt hat. Die zerstören den Ausbau und sind für den Klimaschutz absolut kontraproduktiv.

Warum wäre eine Corona-Impfpflicht die Ultima Ratio, wenn die Impfquote nicht hoch genug ist im Herbst?

Hofreiter Wir brauchen eine deutlich höhere Impfquote und wir müssen beim Impfen wieder schneller werden. Es braucht jetzt Kreativität und bessere Informationsangebote, um weiter möglichst viele Menschen vom Impfen zu überzeugen. Wir müssen dahin gehen, wo die Menschen sind, es ihnen leicht machen. Impfen ist auch ein Akt der Solidarität, gerade mit unseren Kindern. Denn die werden die Hauptleidtragenden einer vierten Welle sein. Wenn allen Menschen ein Impfangebot gemacht worden ist, dann kann es auch Unterscheidungen bei den Zugängen geben zwischen denen, die geimpft sind, und denen, die sich nicht impfen lassen wollen.

Die Grünen waren auffallend still unmittelbar nach der Hochwasser-Katastrophe. Woran lag das?

Hofreiter Diese Katastrophe hat viele Menschenleben gekostet, Häuser und Existenzen wurden zerstört. Die schnelle Hilfe stand da im Vordergrund. Es war absolut richtig, innezuhalten und auch noch einmal nachzudenken, was braucht es beim Katastrophenschutz oder beim Hochwasserschutz.

Oder lag es daran, dass die Grünen-Kanzlerkandidatin nach mehreren Patzern angeschlagen ist?

Hofreiter Annalena Baerbock hat sofort ihren Urlaub abgebrochen und ist in die Hochwasser-Gebiete gereist. Und als einzige Kandidatin hat sie bereits konkrete Vorschläge für Konsequenzen aus dieser Krise vorgelegt.

In dieser Woche wurde bekannt, dass Frau Baerbock in einem Video das N-Wort benutzt hat, hinterher hat sie sich dafür entschuldigt. Ist das ein weiterer Tiefschlag in der Kampagne?

Hofreiter Ich finde, Annalena hat hier sehr souverän agiert. Niemand ist davor gefeit, Fehler zu machen. Und dann kommt es darauf an, wie man mit diesen umgeht. Entscheidend ist doch aber, dass wir in diesem Wahlkampf darüber diskutieren, wie wir unsere großen Zukunftsprobleme lösen können. Wir haben mit Annalena Baerbock eine Kanzlerkandidatin, die sich von allen Kandidaten mit Abstand am besten auskennt bei der Menschheitsaufgabe Klimakrise. Sie kann unser Land durch diese Herausforderung führen.

Warum musste sich Frau Baerbock für ein Wort entschuldigen, das sie nur zitiert hat aus einem Schulbuch?

Hofreiter Das N-Wort als solches ist verletzend. Menschen, die das Wort verletzt, wünschen sich, dass man dieses Wort nicht mehr verwendet. Ich finde es richtig, dass Annalena auf die Gefühle anderer Menschen Rücksicht nimmt.

Kanzlerin Baerbock – dieses Szenario ist wohl vorbei, oder?

Hofreiter Die Union ist nach dem Lavieren Laschets im Sinkflug, da haben wir durchaus noch Chancen, stärkste Kraft zu werden. Alles ist offen. Ich habe auch den Eindruck, dass sich Armin Laschet im Gegensatz zu Angela Merkel zu wenig mit den naturwissenschaftlichen Grundlagen der Klimakrise beschäftigt. Im Vergleich zu ihr wäre Laschet ein klimapolitischer Rückschritt. Und das wird in den nächsten Wochen immer deutlicher werden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort