Ägyptens Unruhe erreicht Berlin

Berlin · Berlin hat sich schwer getan mit dem Besuch des neuen ägyptischen Staatschefs Abdel al-Sisi. Dieser hatte Parlamentswahlen versprochen, die aber immer noch ausstehen. Derweil unterzeichnete al-Sisi in Deutschland einen Großauftrag für Siemens.

Eklat im Kanzleramt. Am Ende der Pressekonferenz von Angela Merkel und Ägyptens Staatschef Abdel al-Sisi rief eine angebliche Journalistin: "Nieder mit dem Militär " und "Mörder". Bei der Anti-Sisi-Aktivistin handelte sich nach eigenen Angaben um eine Medizinstudentin aus Mainz, die eine Presse-Akkreditierung hatte. Sie wurde sofort von Sicherheitsbeamten nach draußen geleitet. Die Hauptstadt erlebte am Mittwoch einen der umstrittensten Staatsbesuche der vergangenen Jahre. Schon am Morgen standen durch Polizisten getrennt laut schreiende Pro- und Kontra-Demonstranten vor dem Adlon-Hotel am Brandenburger Tor. "Alles islamistische Terroristen ", sagte einer der al-Sisi-Anhänger über die anderen, die Plakate des vorherigen Präsidenten Mursi mit sich trugen. Mursi ist wie Hunderte andere Mitglieder seiner Muslimbruderschaft zum Tode verurteilt, was in den Gesprächen mit Angela Merkel ein Thema war.

Auch in der deutschen Politik war die Visite höchst umstritten, und nicht nur bei Menschenrechtsorganisationen wie Reporter ohne Grenzen oder den Grünen. Die Einladung des im Mai 2014 zwar gewählten, zuvor aber durch Putsch an die Macht gekommenen Ex-Generals war im September in einem Telefonat von Kanzlerin Angela Merkel persönlich ausgesprochen worden. Damals noch an die Bedingung geknüpft, dass man sich "nach der Parlamentswahl" treffen solle. Die verschob der General aber auf den Herbst dieses Jahres. Deutschland hielt trotzdem an der Einladung fest. Ägypten, so das Credo der Bundesregierung, sei "Schlüsselland des arabischen Raums", wie Regierungssprecher Steffen Seibert sagte. Bundespräsident Joachim Gauck empfing den Gast vor dem Schloss Bellevue mit "militärischen Ehren". Nur einer trübte die Stimmung: Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU ). Er sagte sein geplantes Treffen mit dem Gast vor zwei Wochen ab. Begründung: "Statt der seit Langem erwarteten Terminierung von Parlamentswahlen erleben wir eine systematische Verfolgung oppositioneller Gruppen."

Merkel übte auch Kritik, allerdings äußerst zurückhaltend. Über die Wahlen sprach sie gar nicht mehr, sondern nur sehr allgemein von "Werten", bei denen man sich unterscheide. "Aber", fügte sie ihren kritischen Ausführungen hinzu, "das führt nicht dazu, dass wir in vielen anderen Fragen nicht zusammenarbeiten können". Sie meinte vor allem die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Zusammenarbeit, denn Ägypten sei "von hoher strategischer Bedeutung" vor allem im Kampf gegen den islamistischen Terror. Am Mittwochabend dann bekam Siemens im Wirtschaftsministerium im Beisein von Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD ) von dem Gast aus Ägypten den größten Einzelauftrag in seiner Firmengeschichte. Es geht um den Bau von drei Gaskraftwerken und bis zu zwölf Windparks im Gesamtwert von acht Milliarden Euro.

Meinung:

Stabilität vor Prinzipien

Von SZ-KorrespondentWerner Kolhoff

Der ehrenhafte Empfang von Ägyptens Präsident Al-Sisi in Berlin markiert die Anerkennung eines Irrtums. Wenn das Volk in Arabien aufsteht und Diktatoren hinwegfegt, muss danach noch lange keine Demokratie kommen. Es kann auch das Chaos sein oder neue, noch schlimmere Gewalt. In Ägypten herrschen die Militärs, in Libyen Banden und Terroristen . Syrien geht im Krieg unter. Auch den Deutschen geht das Interesse an der eigenen Sicherheit und an Stabilität in der Region inzwischen vor Prinzipien. Moralischer Rigorismus ist in der Außenpolitik sicher fehl am Platze, die Frage aber bleibt: Wie formuliert man auch solchen Leuten gegenüber deutlich den Anspruch auf die universellen Menschenrechte und die Werte der Demokratie ? So wie die Vertreter der Bundesregierung es taten, war es zu leise.

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