Kunstfehler vor dem Amoklauf?

Heilbronn · Sein Sohn ermordete beim Amoklauf in Winnenden 15 Menschen. Erst stand der Vater des Täters selbst vor Gericht, jetzt ist er Kläger: Psychiater hätten die Gefährlichkeit seines Sohnes erkennen müssen, sagt er.

Die Pistole liegt geladen im Kleiderschrank seines Vaters. Der 17-Jährige greift sie, fährt zu seiner ehemaligen Schule in Winnenden und ermordet acht Schülerinnen, einen Schüler, drei Lehrerinnen und auf seiner Flucht noch drei Menschen. Sein Vater wird später mitverantwortlich gemacht für den Amoklauf und verurteilt. Morgen ist der ehemalige Unternehmer selbst Kläger : Ärzte und Therapeuten des Zentrums für Psychiatrie in Weinsberg bei Heilbronn hätten ihn nicht gewarnt, welche Gefahr von seinem dort behandelten Sohn ausging. Deshalb müssten sie Teile der millionenschweren Schadenersatzansprüche tragen.

Als der 17-Jährige spätere Amokläufer vor der Bluttat von Experten in Weinsberg begutachtet wurde, hätten sie erkennen müssen, was für eine Zeitbombe er mit seinen Tötungsfantasien war, sagt Erik Silcher, der Anwalt des Vaters. Er spricht von einem "Kunstfehler" der Ärzte. Dieser sei eine Ursache für den Amoklauf gewesen.

Monika Baumhackel hingegen, Anwältin der Klinikexperten, will nicht mal von einer echten Behandlung sprechen. Termine habe es ein halbes Jahr vor dem Amoklauf gegeben, eine Therapie sei nie angetreten worden. Obwohl die Ärzte den Eltern zur Behandlung geraten hätten. Was genau die Fachleute den Eltern am Ende der Treffen geraten haben, wird im Mittelpunkt der Verhandlung vor dem Landgericht Heilbronn stehen. Rieten sie zu sozialen Kontakten? Oder rieten sie dem Vater sogar, seinen Sohn mit in den Schützenverein zu nehmen?

Tim K. hatte am 11. März 2009 15 Menschen und sich selbst erschossen. Weil er die Tatwaffe aus dem Kleiderschrank seines Vaters hatte, wurde der Sportschütze später wegen fahrlässiger Tötung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Das Landgericht Stuttgart entschied zudem, dass er für Behandlungskosten von Opfern und Hinterbliebenen aufkommen muss. Der Vater argumentiert, er habe nichts mehr. Seine Firma habe er verkaufen müssen. Andere sagen, er habe sie in Sicherheit gebracht.

Gisela Mayer hat ihre Tochter Nina verloren, die als Referendarin an der Realschule war. "Auch sieben Jahre danach tut es noch genauso weh", sagt sie. Die Prozesse gegen den Vater seien hart, aber hilfreich gewesen. Hätten sie doch dazu beigetragen, die Bluttat eines jungen Menschen ein Stück weit zu verstehen. Dass Ärzte dem Vater geraten haben könnten, seinen psychisch angeschlagenen Sohn mit zum Schützenverein zu nehmen, hält die Vorsitzende der "Stiftung gegen Gewalt an Schulen - Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden" für absurd. Aus ihrer Sicht müsse das Gericht auch fragen, ob der Vater den Ärzten gesagt hat, dass sein Sohn Zugang zu scharfen Waffen hatte.

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