Der mysteriöse Fall Maddie

London · Das Mädchen verschwand heute vor zehn Jahren spurlos. Die Eltern wollen die Suche „niemals aufgeben“. Gibt es noch Hoffnung?

Im Kinderzimmer hat sich nichts verändert bis auf die vielen ungeöffneten Geburtstagsgeschenke und Weihnachtspräsente. Sie stapeln sich im Raum und warten darauf, endlich von einem 13 Jahre alten Mädchen aufgemacht zu werden. Doch seit zehn Jahren sind sie lediglich Symbol für die unerschütterliche Überzeugung von Kate und Gerry McCann, dass ihre Tochter Madeleine eines Tages nach Hause zurückkehren wird.

Die damals Dreijährige verschwand am 3. Mai 1997 während eines Urlaubs an der portugiesischen Algarve aus einer Ferienanlage. Seitdem vergeht kaum eine Woche, in dem Maddie nicht die britische Boulevardpresse beschäftigt - ob sich ein Kindermädchen äußert oder ein Beobachter neue Beweise entdeckt haben will. Trotzdem bleibt der Fall ungeklärt. Er gehört zu den mysteriösesten der britischen Kriminalgeschichte.

Am Tor des Hauses der Familie in Rothley in der mittelenglischen Grafschaft Leicestershire sind grüne und gelbe Bänder angebunden - die Farben für Hoffnung und Solidarität. Im vergangenen Jahrzehnt aber hat der Kummer überwogen. "Wir vermissen sie jeden Tag", sagten die Eltern mehrfach vor Kameras und Kate McCann bezeichnete den anstehenden Jahrestag in einer emotionalen Nachricht an die Öffentlichkeit als eine "furchtbare Erinnerung an gestohlene Zeit". Sie hat nie wieder als Allgemeinärztin gearbeitet, sondern sich um die beiden jüngeren Zwillinge gekümmert. Er machte als Kardiologe Karriere. Und doch lässt die beiden die Vergangenheit nicht los. Sie würden "niemals aufgeben". Aber sie seien es ihren Kindern schuldig, sicherzustellen, dass deren Leben "so erfüllend ist wie sie es verdienen", sagten sie jüngst.

Am Abend des schicksalhaften 3. Mai brachte die Mutter ihre Tochter Maddie sowie die jüngeren Zwillinge nach einem aufregenden Tag am Meer ins Bett. Die Familie hatte die Ferienwohnung 5A in einer Anlage in Praia da Luz gemietet. Erdgeschoss, zwei Zimmer, Terrasse. Die drei Kinder schliefen gemeinsam in einem Raum. Kate und Gerry verschlossen die Fenster und Haustür, bevor sie sich noch mit Freunden zum Abendessen in der nahen Tapas-Bar des Resorts trafen. Nur die Schiebetür zur Terrasse ließen sie offen, so dass sie jederzeit schnell nach den Kindern sehen konnten. Kurz nach neun schaute der Vater vorbei und fand seine Kinder schlafend vor - und dachte, welch großes Glück er und seine Frau doch haben, wie er später erzählte. Das wurde jäh zerstört, als die Mutter um 21.55 Uhr ein leeres Bett vorfand. Madeleine war verschwunden. Um 22.14 alarmierten die Eltern die Polizei. Eine groß angelegte Suchaktion begann, die McCanns starteten eine Medienkampagne und als die portugiesischen Behörden die Ermittlungen einstellten, heuerten sie Privatdetektive an. Dann leitete Scotland Yard ein eigenes Verfahren ein und auch in Portugal nahm man die Untersuchung wieder auf. Die Fotos des kleinen, blonden Mädchen gingen um die Welt. Auf der Website namens "Find Madeleine" werden regelmäßig Bilder veröffentlicht, auf denen sie künstlich gealtert dargestellt wird.

Kurzzeitig standen sogar die Eltern selbst im Zentrum der Ermittlungen. Und bis vor kurzem lieferten sie sich einen erbitterten Rechtsstreit mit dem ehemaligen portugiesischen Chefermittler Gonçalo Amaral, der nicht an eine Entführung glauben will. Die britische Polizei schließt derweil eine Beteiligung der Eltern an einem Verbrechen aus, wie Mark Rowley, Leiter für Sonderermittlungen bei Scotland Yard, erst kürzlich betonte. Die Beamten nehmen noch immer an, dass Maddie entführt wurde. Es gebe eine "kleine Zahl von entscheidenden Ermittlungssträngen", so Rowley. Seit die Untersuchung von britischer Seite aufgenommen wurde, durchforsteten zeitweise bis zu 30 Beamte 40 000 Dokumente und befragten über 600 Menschen. Allein 13 Millionen Euro sollen die Ermittlungen im Königreich gekostet haben. Auch für die kommenden sechs Monate steht Geld für die Suche bereit.

Die Hoffnung, sie wird nicht aufgegeben. Und so werden die McCanns auch weiterhin zu jedem Geburtstag von Madeleine Geschenke für ihre Tochter kaufen und zu all den anderen in ihrem Zimmer legen - auch wenn das Rätsel um ihr Verschwinden womöglich nie gelöst werden wird.

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