Wettwandern mit den Gezeiten

Beauvoir-sur-Mer · An der französischen Atlantikküste bringt eine kuriose Straße ihre Benutzer nur bei Ebbe hinüber zur Insel Noirmoutier – denn bei Flut wird sie überspült. Auf der Insel können Besucher Wälder, Sandstrände und Salzgärten am besten mit dem Rad entdecken.

 Muschelsammler müssen auf ihrem Weg über die Passage du Gois zur Insel Noirmoutier genau auf die Gezeiten achten. Foto: Sabine Mattern

Muschelsammler müssen auf ihrem Weg über die Passage du Gois zur Insel Noirmoutier genau auf die Gezeiten achten. Foto: Sabine Mattern

Foto: Sabine Mattern

Zart wie ein Schleier schwebt der Morgendunst über den Wiesen und Kanälen des Marais breton-vendéen, jenes mystischen Sumpflands ganz im Westen Frankreichs. Eine moderne Brücke aus Beton und Stahl, 33 Meter hoch und 583 Meter lang, überwindet die Meerenge bei Fromentine und verbindet so das Festland mit der Île de Noirmoutier. Allerdings existiert kurz hinter Beauvoir-sur-Mer eine ungleich originellere Alternative, um von hüben nach drüben zu kommen: die Passage du Gois. Sie ist einzigartig in der Welt und nur gezeitenabhängig benutzbar - ein viereinhalb Kilometer langer Fahrdamm, der teils gepflastert, teils geteert und in Begleitung mehrerer Rettungsinseln auf dem Meeresgrund verläuft.

Doch an diesem Morgen liegt der Gois fast noch vollständig unter Wasser, die Ebbe hat gerade erst eingesetzt. Knapp hat die tief stehende Sonne den Kampf gegen den Frühnebel gewonnen und leuchtet nun siegessicher Noirmoutier aus, das als verschwommener Streifen Land am Horizont erscheint. Menschen betreten die Passage und folgen, zu Fuß oder am Steuer ihres Autos, dem fliehenden Wasser.

Meter um Meter legt die Ebbe Straße wie Meeresboden frei. Und schneller, als man schauen kann, spannt sich dort, wo eben noch Wasser war, ein endloser brauner Sandspiegel in der Bucht von Bourgneuf, während eine ganze Phalanx französischer Kleinwagen ordentlich neben der Passage parkt. Ihre Insassen, es müssen Hunderte sein, sind gekommen, um Schalentiere zu "ernten". Bewaffnet mit Harken, Schaufeln, Rechen, Eimern, an den Füßen Badelatschen oder Gummistiefel, strömen sie aus.

Es ist ein großartiges Erlebnis, der Passage du Gois Richtung Insel zu folgen. Noirmoutier begrüßt einen schließlich mit flachem Land, auf dem sich das dunkle Grün duftender Wälder vom fahlen Gelb der Felder und Wiesen absetzt - farblich aufgepeppt von weiß getünchten Häuschen mit roten Dächern und blauen Klappläden an den Fenstern. Mit oder ohne festes Ziel streifen die Urlauber über die Insel, beobachten das An- und Ablegen der Boote im Hafen von L'Herbaudière, suchen nach dem Mühlenquartett hinter den Dünen von La Guérinière oder machen eine Stippvisite im mittelalterlichen Schloss von Noirmoutier-en-l'Île. Mit Blick auf die Müllembourg-Marsch wird über die Mole Jacobsen spaziert. Und noch weiter bis zum Wald von Chaise, dessen Steineichen und Kiefern bis zum Strand "Plage des Dames" reichen, der seine feine weiße Sandfläche malerisch zwischen klobigen Felsen zur Schau stellt.

Maritim auf eine ganz andere Art zeigt sich das Reich der Salzgärten, die rund ein Drittel der Inselfläche bedecken. Etwas melancholisch wirkt das Grasland der Marais im Zentrum, wo das Meerwasser in einem Netz von Kanälen und Becken zirkuliert. Wenn es endlich in den "{oelig}illets", den geometrisch angelegten Konzentrationsbecken der Salzbauern ankommt, ist es durch Verdunstung an Salz gesättigt. Das "weiße Gold" kristallisiert und lagert sich auf dem Grund oder - im Fall des berühmten Fleur de sel - an der Oberfläche der Saline ab. Auf diese Art ernten die Salzgärtner Noirmoutiers rund 3000 Tonnen Salz im Jahr.

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Auf einen Blick:Air France fliegt täglich von mehreren deutschen Städten über Paris nach Nantes . Alternativ geht es ab Paris im TGV nach Nantes , die Fahrt dauert gute zwei Stunden. Ab Nantes nehmen Besucher am besten einen Mietwagen und erreichen in etwa eineinhalb Stunden die Küste vor Noirmoutier. redile-noirmoutier.com

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