Kluft zwischen Arm und Reich wird größer

Berlin. Niemand muss in Deutschland verhungern und doch ist die Armut überall erkennbar. Tafeln, die Lebensmittel an Bedürftige verteilen, schießen wie Pilze aus dem Boden. Die Angst vieler Bürger, in Armut abzurutschen, greift um sich, das zeigen Umfragen. Diese Angst scheint berechtigt, betrachtet man sich die neueste OECD-Studie

Berlin. Niemand muss in Deutschland verhungern und doch ist die Armut überall erkennbar. Tafeln, die Lebensmittel an Bedürftige verteilen, schießen wie Pilze aus dem Boden. Die Angst vieler Bürger, in Armut abzurutschen, greift um sich, das zeigen Umfragen. Diese Angst scheint berechtigt, betrachtet man sich die neueste OECD-Studie. Demnach driften in Deutschland Arm und Reich immer weiter auseinander. Die Ungleichheit bei den Einkommen und die Armut - gerade auch von Kindern - haben hierzulande in den vergangenen Jahren stärker zugenommen als in anderen Industrieländern.

2005 lebten demnach unterhalb der Armutsschwelle 10,5 bis elf Prozent der Bevölkerung. "Deutschland liegt hier leicht über dem OECD-Durchschnitt", sagt Michael Förster, einer der Autoren, bei der Vorstellung der Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Berlin. Dänemark und Schweden erreichten nur einen Wert von fünf Prozent. Anfang der 90er Jahre war die Armutsquote in Deutschland noch rund ein Viertel geringer als im OECD-Durchschnitt. Deutschland gehöre mit Tschechien, Kanada und Neuseeland auch zu den Ländern, in denen die Kinderarmut am stärksten gewachsen sei, heißt es in der Studie "Mehr Ungleichheit trotz Wachstum?". Die Einkommensunterschiede, die lange Zeit im internationalen Vergleich eher gering waren, haben fast das OECD-Niveau erreicht. Vor allem durch einen überproportionalen Anstieg der höheren Einkommen seit der Jahrtausendwende sei die Einkommensschere auseinandergegangen.

Alleinerziehende und Kinder sind der Studie zufolge überdurchschnittlich, Rentner dagegen unterdurchschnittlich von Armut betroffen. So blieb die Armutsquote bei Menschen über 65 von 1995 bis 2005 stabil bei rund neun Prozent (OECD-Schnitt 13 Prozent), bei Kindern stieg sie von elf auf 16 Prozent.

Arbeitslosigkeit hat in Deutschland mehr als in den meisten anderen OECD-Ländern zur gestiegenen Einkommensungleichheit beigetragen. Im OECD-Durchschnitt liegt das Armutsrisiko in Haushalten, in denen keine Person arbeitet, den Angaben zufolge bei etwa 30 Prozent. In Deutschland dagegen sei "die Einkommensarmutsrate der Haushalte ohne Erwerbseinkommen bei 40 Prozent", erklärt Förster.

Als von Armut bedroht gelten nach der OECD-Definition Menschen mit weniger als 50 Prozent des mittleren Einkommens im jeweiligen Land. Dabei wird nicht der Mittelwert aller Einkommen herangezogen, sondern der deutlich niedriger liegende Median, der die gesamte Bevölkerung genau in der Mitte in zwei gleich große Gruppen teilt.

2006 hat sich die Einkommensungleichheit laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) weiter verschärft. Ein Jahr später, angeregt durch den konjunkturellen Aufschwung, habe sich die Lage wieder verbessert. "Was in absoluten Zahlen bedeutet, dass 1,2 Millionen Menschen in Deutschland aufgrund der verbesserten Arbeitsmarktsituation nicht mehr von Armut betroffen sind", sagte Markus Grabka vom DIW. Die konjunkturelle Entwicklung sei seit Mitte 2008 aber negativer.

Die Arbeitsmarktstrukturen hätten sich in den vergangenen zehn Jahren mit mehr Leih- und Zeitarbeit sowie geringfügiger Beschäftigung stark verändert, so Grabka. Diese Beschäftigten "werden jetzt im Rahmen des konjunkturellen Abschwungs relativ schnell aus dem Arbeitsmarkt hinauskatapultiert werden. Was unserer Einschätzung nach das Ausmaß an Einkommensarmut für das Jahr 2009 wieder steigen lässt".

Der Sozialverband Vdk fordert die Bundesregierung auf, einen nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung und Vermeidung von Armut zu entwickeln. Der Präsident des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Klaus-Dieter Kottnik, fordert mehr Solidarität mit den Armen: "Vor allem bei Erziehung und Ausbildung muss mehr an die Kinder aus armen Verhältnissen gedacht werden und nicht nur an die Eliten." dpa

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