Klimaziele Die Welt am Abgrund

Saarbrücken/Incheon · Was geschieht, wenn die Erde sich bis Ende des Jahrhunderts auch nur um 1,5 Grad erwärmt? Nichts Gutes, zeigt der neueste Bericht des Weltklimarats. Das Dokument ist ein drastischer Appell an die Weltgemeinschaft.

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Foto: SZ

Für ein ausgiebiges Sonnenbad muss niemand mehr in den Süden: Die Sommer werden hierzulande immer heißer, die Winter dafür regenreicher. Eine Entwicklung, die Klimaforscher seit Jahren beobachten – und die „ab einem bestimmten Punkt nicht mehr umkehrbar ist“, sagt Andreas Friedrich, Diplom-Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst. Doch der Experte stellt auch fest: „Deutschland ist im globalen Vergleich in einer komfortablen Situation.“ Als Gegenbeispiel nennt er arabische Länder, die zum Teil unbewohnbar werden könnten, wenn die Temperaturen im Sommer die 50 Grad übersteigen. Oder Inselstaaten, die drohen, im Meer zu versinken.

Kein Wunder also, dass der Weltklimarat IPCC gestern in einem Sonderbericht zu raschem Handeln aufgerufen hat. Die Kernbotschaft: Wenn die Menschheit den Ausstoß von Klimagasen, insbesondere Kohlenstoffdioxid (CO2), nicht sofort und entschieden senkt, ist die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad nicht mehr zu schaffen. Der globale CO2-Ausstoß müsste demnach von 2010 bis 2030 um 45 Prozent fallen und im Jahr 2050 Null erreichen.

Ein Plus von einem Grad wirkt sich bereits verheerend aus: mehr Extremwetter, steigende Meeresspiegel, schwindendes arktisches Meereis. Ohne zusätzliche Anstrengungen steuert die Welt auf drei bis vier Grad Erwärmung zu – so der einhellige Befund des IPCC nach einer mehrtägigen Sitzung im südkoreanischen Incheon. Auch Klimaexperte Friedrich sagt: „Man muss sich darauf einstellen, dass wir das 1,5-Grad-Ziel nicht erreichen werden.“ Im Klimaabkommen von Paris hatten die Länder Ende 2015 eine Obergrenze von deutlich unter zwei Grad Erwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau beschlossen. Darauf hatten vor allem die Inselstaaten gedrungen. Der IPCC-Bericht, der auch eine Grundlage für die UN-Klimakonferenz im Dezember sein wird, zeigt, was die Obergrenze von 1,5 Grad schon im Vergleich zu zwei Grad bewirken kann: „Mehrere Hundert Millionen“ Menschen könnten bis 2050 vor der Armut bewahrt werden. Die Ernteeinbußen fielen geringer aus. Der Meeresspiegel könnte bis 2100 immerhin um zehn Zentimeter weniger klettern. „Nur“ 70 bis 90 Prozent der Korallenriffe würden verschwinden anstelle von 100 Prozent.

In Deutschland kommen bereits 35 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne, aber viel auch weiterhin aus Kohlekraftwerken. Wann die vom Netz gehen sollen, darüber verhandelt gerade eine Kommission aus Klimaschützern, Politik und Wirtschaft. Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, seine CO2-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Die Bundesregierung hat jedoch bereits eingeräumt, dass sie diese Marke deutlich verfehlen wird. Auch über eine Reduktion des CO2-Ausstoßes im Verkehr beraten Experten derzeit. 2019 soll das erste Klimaschutz-Gesetz stehen.

Weltweit hoffen Experten auf Technik, die helfen soll, Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre zu ziehen. Die IPCC-Experten empfehlen dringend, keine Wälder mehr abzuholzen (Stichwort: Wiederaufforstung). Auch komme den sogenannten BECCS-Verfahren („Bioenergy with carbon capture and storage“) zur CO2-Speicherung eine wichtige Rolle zu: Pflanzen wie Raps, Zuckerrohr, Mais oder Rutenhirse könnten künftig so angebaut werden, dass sie während ihres Wachstums der Atmosphäre CO2 entziehen.

Zu den eher umstrittenen Ansätzen gehört das sogenannte Geoengineering. Sprich: Teilchen in die Luft zu blasen, die Sonnenstrahlen zurückstrahlen und so die Erdtemperatur senken. Die IPCC-Autoren warnen ausdrücklich vor den Risiken. Als kaum umsetzbar gelten auch Vorschläge, Sonnenstrahlen teilweise ins Weltall zurückzuleiten oder die Struktur von Wolken so zu verändern, dass sie die Strahlung von der Erde fernhalten.

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