Rot-Grün liegt in der Mainzer LuftBürgernah und schlagfertigKurt Beck punktet mit ausgeprägter Bodenständigkeit

Mainz. Das beschauliche Rheinland-Pfalz hat in den vergangenen Jahrzehnten einen rasanten Strukturwandel vollzogen. Geprägt von großen ländlichen Gebieten und einst etwas despektierlich als Land der "Reben und Rüben" bezeichnet, brummt zwischen Rhein und Mosel der stark exportorientierte Wirtschaftsmotor

Becks christdemokratische Herausforderin Julia Klöckner gestern im Gespräch mit Zweibrücker Bürgern. Foto: Ulrike Otto

Becks christdemokratische Herausforderin Julia Klöckner gestern im Gespräch mit Zweibrücker Bürgern. Foto: Ulrike Otto

Mainz. Das beschauliche Rheinland-Pfalz hat in den vergangenen Jahrzehnten einen rasanten Strukturwandel vollzogen. Geprägt von großen ländlichen Gebieten und einst etwas despektierlich als Land der "Reben und Rüben" bezeichnet, brummt zwischen Rhein und Mosel der stark exportorientierte Wirtschaftsmotor. Der Chemie-Riese BASF in Ludwigshafen ist hier ebenso beheimatet wie Pharma-Gigant Boehringer in Ingelheim. Im bundesweiten Vergleich weist das Land nach Bayern und Baden-Württemberg die drittniedrigste Arbeitslosenquote auf.Wenn am Sonntag 3,1 Millionen Wahlberechtigte zu den Urnen gerufen werden, spricht vieles für politische Kontinuität. Im strukturell eher konservativen Stammland von Alt-Kanzler Helmut Kohl (CDU) regieren seit 1991 die Sozialdemokraten, seit 2006 sogar mit absoluter Mehrheit. Die dürfte zwar auch vom beliebten Landesvater Kurt Beck nicht zu verteidigen sein, doch die Zeichen stehen auf ein erstmaliges rot-grünes Bündnis. Meinungsforscher sehen die SPD bei 37 Prozent und damit drei Punkte vor der CDU sowie die Grünen bei 14 Prozent. Für Letztere würde ein solches Ergebnis nicht nur die triumphale Rückkehr in den Landtag, sondern den direkten Sprung auf die Regierungsbank bedeuten. Bangen müssen die FDP und die Linken, die zwischen sechs und vier Prozent gesehen werden. Sollten die Liberalen es nicht schaffen, wäre das für sie besonders schmerzlich. Immerhin regierten sie von 1991 bis 2006 mit den Sozialdemokraten.

Im Wahlkampf spielen inhaltliche Auseinandersetzungen nur am Rande eine Rolle. Die SPD verweist stolz auf ihre Leistungen im Bildungsbereich, die von gebührenfreien Kindergärten über den massiven Ausbau der Ganztagsschulen bis zum kostenlosen Erststudium reichen. Das Credo lautet "Auf gutem Kurs" mit Kurt Beck. Die CDU macht die SPD für eine Rekordverschuldung verantwortlich, die Ende 2010 etwa 30 Milliarden Euro betrug. Sie wirft den Sozialdemokraten außerdem "Arroganz der Macht" vor, pocht auf einen Regierungswechsel in "Rheinland-Filz" und will laut Spitzenkandidatin Julia Klöckner "nicht alles anders, aber vieles besser machen".

Schrille Töne mit gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen den beiden großen Parteien prägen die Debatten. Als größter Tiefpunkt in der Amtszeit von Kurt Beck gilt die Nürburgring-Affäre. Für 330 Millionen Euro wurde an der Rennstrecke in der Eifel ein Freizeit- und Geschäftszentrum gebaut. Die angestrebte Finanzierung mit Hilfe privater Geldgeber scheiterte an betrügerischen Machenschaften, es floss nie ein Cent. Mittlerweile finanziert der Staat alles.

So richtig profitieren kann die seit zwei Jahrzehnten von internen Streitereien geschüttelte Union jedoch davon nicht, zumal sie selbst eine Affäre verkraften musste. Kurz vor Weihnachten wollte die zur Parteichefin avancierte Hoffnungsträgerin Julia Klöckner reinen Tisch machen und veranlasste, dass ihre Partei eine Strafe von 1,2 Millionen Euro an den Bundestagspräsidenten zahlte. Vorausgegangen war der unsachgemäße Umgang der Landtagsfraktion mit Steuermitteln zwischen 2003 und 2006, die nicht nur vom zwischenzeitlich verurteilten Fraktionsmanager Markus Hebgen zu Bordellbesuchen, sondern offenbar auch zu einer illegalen Wahlkampffinanzierung genutzt wurden.

Welche Rolle die aufgrund der Ereignisse in Japan neu entflammte Atomdiskussion spielen wird, darüber rätseln alle Beteiligten. SPD und Grüne werben in diesen Tagen offensiv damit, sie hätten schon immer einen Atomausstieg befürwortet. CDU und FDP versuchen, den Bürgern ihren Kurswechsel zu erklären. Alles in allem lassen die Umfragen keine Wechselstimmung in Rheinland-Pfalz erkennen. Das würde bedeuten, dass "König Kurt" erneut den Thron besteigt. Mainz. Manche nennen Kurt Beck (SPD) den Bürgermeister von Rheinland-Pfalz. Deutschlands dienstältester Ministerpräsident ist bodenständig und heimatverbunden. Unermüdlich reist er landauf landab, um nah bei seinen vier Millionen Bürgern zu sein, und kümmert sich auch um ihre Alltagssorgen. Der 62-jährige Beck sucht jedoch ebenso die Rolle des älteren Staatsmannes: Im TV-Duell zur Landtagswahl am 27. März gab er kürzlich ganz den souveränen Landesvater. "Bitte nicht so flapsig", ermahnte er die 24 Jahre jüngere CDU-Herausforderin Julia Klöckner.

Bereits seit 1994 steht Beck an der Spitze der rheinland-pfälzischen Landesregierung. Obwohl das Bundesland strukturell konservativ ist, gewann er seitdem eine Landtagswahl nach der anderen. Bis 2006 regierte er zusammen mit der FDP, seitdem sogar ohne sie mit bequemer absoluter SPD-Mehrheit.

Der Maurersohn aus dem südpfälzischen Steinfeld erlangte nach der Ausbildung zum Elektromechaniker und der frühen Hochzeit mit seiner Frau Roswitha auf dem zweiten Bildungsweg die Mittlere Reife. Mit der großen Berliner Bühne hat er dagegen sehr gefremdelt: Nach seiner Wahl zum SPD-Bundesvorsitzenden 2006 trat er 2008 nach parteiinternen Querelen zurück. Seitdem beschränkte er sein bundesweites Agieren vor allem auf die Medienpolitik: Beck ist Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder und Chef des ZDF-Verwaltungsrats.

Ins bundesweite Rampenlicht trat er jedoch neulich wieder mit einer überraschenden Initiative zum Hartz-IV-Kompromiss. Und jüngst forderte er im Bundesrat angesichts der japanischen Nuklearkatastrophe einen parteiübergreifenden Pakt, um die Zukunft der deutschen Atomkraftwerke zu regeln.

Im Mainzer Landtag sitzt Beck bereits seit mehr als 30 Jahren, seit 1993 steht er auch an der Spitze der rheinland-pfälzischen SPD. Die Opposition von CDU und FDP wirft ihm immer wieder "Arroganz der Macht" vor - doch auch vermeintliche und tatsächliche Skandale können ihm kaum etwas anhaben. dpa

Zweibrücken. 20 Minuten mussten die Menschen gestern vor der Hallplatz-Galerie in Zweibrücken warten, dann stand sie plötzlich mitten in der Menge. CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner rührte fünf Tage vor der Landtagswahl nochmals die Werbetrommel für ihre Partei und den CDU-Kandidaten für den Wahlkreis 46 Zweibrücken, Michael Wöhler. Klöckner gab sich selbstbewusst und schlagfertig. Gefragt, ob sie denn noch zulegen könne, sah Klöckner an sich herunter und fragte zurück: "Sie meinen, ich soll noch zunehmen?" Ihre Parteigenossen waren von Klöckner später angetan. "Sie hat für jeden das passende Wort parat", meinte die Bundestagsabgeordnete Anita Schäfer.

Am Abend sagte der saarländische Ministerpräsident Peter Müller in der Zweibrücker Festhalle, ein Regierungswechsel in Mainz könnte sich positiv auf die Verlängerung der S-Bahn von Homburg nach Zweibrücken auswirken. Optimistisch sieht er die künftige Zusammenarbeit der Flughäfen Zweibrücken und Ensheim: "In zehn Jahren wird aus der Konfrontation eine Kooperation." uo/nob

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