Mohammed Mursi gibt bei Merkel den LauterenTourismus wichtiger Wirtschaftsfaktor

Berlin. Während es bei Straßenschlachten in Kairo erneut Tote gab, ist Ägyptens Präsident Mohammed Mursi bei seinem mit Spannung erwarteten Besuch gestern in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammengetroffen. Mursi, der der radikalreligiösen Muslimbruderschaft angehört, beteuerte bei dem Gespräch seine demokratischen Absichten

Die Bundesregierung erkennt Mohammed Mursi als gewählten Volksvertreter an. Dennoch mahnte Kanzlerin Angela Merkel gestern in Berlin demokratische Reformen für Ägypten an. Foto: dpa

Die Bundesregierung erkennt Mohammed Mursi als gewählten Volksvertreter an. Dennoch mahnte Kanzlerin Angela Merkel gestern in Berlin demokratische Reformen für Ägypten an. Foto: dpa

Berlin. Während es bei Straßenschlachten in Kairo erneut Tote gab, ist Ägyptens Präsident Mohammed Mursi bei seinem mit Spannung erwarteten Besuch gestern in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammengetroffen. Mursi, der der radikalreligiösen Muslimbruderschaft angehört, beteuerte bei dem Gespräch seine demokratischen Absichten. Merkel mahnte die Einhaltung der Menschenrechte und der Religionsfreiheit an und forderte Mursi auf, das Gespräch mit allen politischen Kräften in seinem Land zu führen.

Mursi sagte nach dem Treffen, Ägypten werde ein Rechtsstaat werden, der weder von Militärs noch von Theokraten (Gottesgelehrten) dominiert werde und in dem alle Meinungen toleriert würden. Er strebe einen Dialog mit allen Gruppierungen im Land an. Den Vorschlag der Opposition jedoch, sofort eine gemeinsame Übergangsregierung zu bilden, lehnte er ab. Es gebe eine funktionierende Regierung, die täglich arbeite. Erst die Neuwahl des Parlaments in einigen Monaten werde über eine neue Regierung entscheiden. Den von ihm verhängten Ausnahmezustand über drei Großstädte am Suez-Kanal bezeichnete Mursi als "temporäre Maßnahme" zum Schutz der Bevölkerung vor "kriminellen Überfällen". Sobald die Lage sich beruhigt habe, werde sie wieder zurückgenommen.

Auffällig war, dass die Bundeskanzlerin Kritik öffentlich nur sehr behutsam äußerte. Sie sagte, Deutschland werde den Transformationsprozess Ägyptens weiter unterstützen und sei an einer guten wirtschaftlichen Entwicklung des Landes interessiert. Voraussetzung dafür aber seien politische Stabilität und Rechtsstaatlichkeit. Dann würden sich auch deutsche Unternehmen mit Investitionen engagieren und der Tourismus werde wieder florieren. Offen kritische Anmerkungen kamen in der Pressekonferenz von Journalisten, die etwa nach Mursis vor drei Jahren geäußertem Vergleich von Juden mit "Affen und Schweinen" fragten. Merkel sagte, sie habe das Thema angeschnitten, und gab die Antwort weiter an den ägyptischen Präsidenten. Dieser betonte, die Zitate seien aus dem Zusammenhang gerissen worden. "Ich bin nicht gegen das Judentum als Religion". Im Anschluss an sein Gespräch mit Merkel nahm Mursi im Wirtschaftsministerium an der ersten Sitzung einer neu gegründeten deutsch-ägyptischen Wirtschaftskommission teil. Der Präsident war mit einer etwa 100 Personen großen Wirtschaftsdelegation angereist. Vor allem im Bereich der Energie, im Transport und im Tourismus werden von beiden Seiten Chancen gesehen. Wirtschaftsminister Philipp Rösler sagte zu Beginn, wirtschaftliche Freiheit könne man nie ohne gesellschaftliche Freiheit denken. "Dazu gehören Bürgerrechte, Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, Religionsfreiheit." Außenminister Guido Westerwelle meinte in einem Interview, man müsse der ägyptischen Revolution trotz aller schockierenden Bilder eine Chance geben. Man brauche "strategische Geduld" mit dem Land.

Mursi hatte seinen Besuch wegen der angespannten Lage in seinem Land auf einen Tag verkürzt und wollte noch gestern Abend zurück nach Kairo reisen. Der für heute geplante Termin mit Bundespräsident Joachim Gauck entfiel ebenso wie eine ursprünglich vorgesehene Weiterreise nach Paris. Das Gebiet um das Kanzleramt war während des Treffens mit Merkel weiträumig abgeriegelt. Eine kleine Gruppe von Anti-Mursi-Demonstranten durfte erst in rund 100 Metern Entfernung ihre Transparente enthüllen. Sie bezeichneten Mursi als "Fälscher" und "Diktator". Etwa ein Dutzend Mursi-Anhänger hielt Schilder hoch, auf denen Mursi als erster freigewählter Präsident Ägyptens begrüßt wurde.Berlin. Ägypten steht nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich unter Beobachtung. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hält einen Milliarden-Kredit zurück, weil das Land Sparauflagen nicht garantieren kann. Wirtschaftlich geplagt wird Ägypten von Staatsschulden, die inzwischen bei 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen - das ist viel für ein Schwellenland.

In Deutschland steht Ägypten mit 2,5 Milliarden Euro in der Kreide. Ein bedeutender Handelspartner ist das Land aber nicht. 2012 (Stand November) führte Ägypten Waren im Wert von 1,3 Milliarden Euro nach Deutschland aus. Die Bundesrepublik lieferte in diesem Zeitraum Güter im Wert von 2,4 Milliarden Euro nach Ägypten. Zum Vergleich: Das Handelsvolumen (Import und Export) zwischen Deutschland und Frankreich beträgt jährlich rund 90 Milliarden Euro. Ägypten hat eine strategisch gute geografische Lage nahe attraktiver Märkte sowie einen großen Binnenmarkt (Bevölkerung: 80 Millionen). Dazu kommt eine recht gute Infrastruktur - auch für den Devisenbringer Tourismus. Dieser Sektor schrumpfte durch die Unruhen im Land von 14,7 Millionen Gästen im Jahr 2010 auf 9,5 Millionen 2012 (siehe Grafik). Für das Bruttoinlandsprodukt gibt es für das laufende Jahr eine Wachstumsprognose von drei Prozent. Sie wird nach Einschätzung von Experten aber durch die politische Unsicherheit gebremst. Dazu kommen ein starkes Sozialgefälle zwischen Arm und Reich, Stadt und Land sowie ein unzureichendes Bildungs- und Gesundheitssystem. dpa

"Ich bin nicht gegen das Judentum als Religion."

Mohammed Mursi

Meinung

Erwartungsdruck auf Mursi

Von SZ-Korrespondent

Werner Kolhoff

Der normale demokratische Reflex auf Mohammed Mursis bisherige Politik wäre ein Stopp aller Gelder und aller Kooperation. Bis der ägyptische Präsident und seine fanatischen Muslimbrüder Demokratie und Toleranz in ihrem Land einkehren lassen. Oder mindestens, bis sie aufhören, Demonstranten mit dem Ausnahmezustand zu überziehen. Aber die Welt kann sich diesen Reflex nicht leisten. Denn Ägypten befindet sich noch mitten in einem historischen Ringen um seine Zukunft, das nicht entschieden ist. Außenminister Guido Westerwelle hat ein kluges Wort gefunden, als er von der erforderlichen "strategischen Geduld" sprach. Ägypten ist nicht ein, sondern das Schlüsselland für die Zukunft Nordafrikas und auch für das Verhältnis der arabischen Welt zu Israel, mit dem es immer noch ein Friedensvertrag verbindet - zwei auch für Europa zentrale Fragen.

Mohammed Mursi hat zwar mit der von ihm durchgepeitschten Verfassung und mit seinen Dekreten gegen die unabhängige Justiz versucht, putschartig die ganze Macht zu ergreifen. Aber er hat merken müssen, dass das nicht geht. Weil Ägypten (noch) eine Vielfalt des Denkens und sogar der Religionen kennt. Mursi ist (noch) in der Situation, dass er Kompromisse machen muss. Vielleicht gab er sich deshalb gestern in Berlin als moderater Islamist. Das ist eine Chance. Nun muss man ihn beim Wort nehmen.

 Die Bundesregierung erkennt Mohammed Mursi als gewählten Volksvertreter an. Dennoch mahnte Kanzlerin Angela Merkel gestern in Berlin demokratische Reformen für Ägypten an. Foto: Michael Kappeler/dpa

Die Bundesregierung erkennt Mohammed Mursi als gewählten Volksvertreter an. Dennoch mahnte Kanzlerin Angela Merkel gestern in Berlin demokratische Reformen für Ägypten an. Foto: Michael Kappeler/dpa

Die gestern von der Bundesregierung vertretene Linie, ihn als gewählten Vertreter seines Volks anzuerkennen, aber den demokratischen Erwartungsdruck auf ihn aufrecht zu erhalten, ist die richtige Strategie. Jedenfalls bis auf Weiteres.

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