Juncker ist Merkels Favorit

Brüssel · Lange hat sie zu dem Thema geschwiegen. Doch jetzt hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel für den Luxemburger Jean-Claude Juncker als Spitzenkandidat der konservativen Parteien bei der Europawahl ausgesprochen.

Die Bundeskanzlerin hat lange geschwiegen. Da kommt dem ersten Namen, den sie nun öffentlich mit einem europäischen Spitzenkandidaten in Verbindung bringt, umso höhere Bedeutung zu: "Ich habe große Sympathie für Jean-Claude Juncker", sagte Angela Merkel, als sie gestern - nach dem Antrittsbesuch des neuen luxemburgischen Ministerpräsidenten Xavier Bettel in Berlin - gefragt wurde, wer die konservative EVP-Parteienfamilie in die Europawahl Ende Mai führen solle.

Damit ist klar: Juncker, der von 1995 bis zum Dezember 2013 das Großherzogtum regierte, hatte sich Anfang des Jahres nicht ohne Rücksprache aus der Deckung gewagt und seine Kandidatur angeboten. "Wenn das Programm und einige Dinge stimmen", werde er antreten, erklärte der 59-jährige Christdemokrat aus Luxemburg Anfang Januar. Immerhin wäre der einstige Chef der Euro-Gruppe (von 2004 bis 2013) im Falle eines konservativen Wahlsieges wohl auch Nachfolger von José Manuel Barroso an der Spitze der mächtigen EU-Kommission.

Zwar betonte die Kanzlerin gestern, die "EVP befindet sich allerdings noch im Entscheidungsprozess". Tatsächlich wird man erst am 6. und 7. März den Kandidaten offiziell nominieren. Doch wer auch immer bisher genannt wurde, dürfte gegen Juncker nicht mehr ankommen: Im Gegensatz zu Polens Premier Donald Tusk oder dem irischen Ministerpräsidenten Enda Kenny spricht Juncker fünf Sprachen fließend. Er verfügt über die längste Regierungserfahrung eines europäischen Politikers. Und: Der Mann ist in allen 28 Mitgliedstaaten bestens bekannt. Das verschafft ihm zumindest eine vielversprechende Ausgangsposition - auch gegen seinen durchaus gewichtigen Gegner, den die Europäischen Sozialisten am 1. März nominieren werden: Martin Schulz, derzeit Präsident des Europäischen Parlamentes.

Das Aufeinandertreffen der beiden könnte die Europawahl, an der vor fünf Jahren nur 43 Prozent teilnahmen, reizvoll machen. Juncker gilt nicht nur als Europa-Philosoph, sondern auch als einprägsamer Redner, der mit Zitaten wie "Wer an Europa zweifelt, sollte öfters Soldatenfriedhöfe besuchen" seine Zuhörer anspricht. Schulz tritt dagegen gerne als wortgewaltiger Kämpfer gegen ein "Europa der Eliten" auf. Er will den zunehmenden Trend des "Durchregierens der Staats- und Regierungschefs" stoppen, um "wieder eine Verbindung zwischen den Bürgern und den Institutionen zu schaffen". Vervollständigt wird der Kreis der Spitzenkandidaten von dem Liberalen Guy Verhofstadt, einst Ministerpräsident in Belgien, sowie den beiden Grünen-Politikern Ska Keller und José Bové.

Dabei ist derzeit noch nicht einmal klar, wie das Experiment mit Spitzenkandidaten am Ende wirklich ausgeht. Der Lissabonner Vertrag legt nämlich nicht eindeutig fest, ob der Wahlsieger tatsächlich auf dem Stuhl des Kommissionspräsidenten Platz nehmen darf. Stattdessen ist mehrdeutig davon die Rede, dass bei der Besetzung des Amtes das Ergebnis der Europawahlen (22. bis 25. Mai) "berücksichtigt" werden soll.

Hinzu kommt, dass die EU unmittelbar nach dem Urnengang weitere Spitzen-Jobs zu vergeben hat: Neben dem Kommissions chef bekommen auch das Europäische Parlament und der Europäische Rat neue Präsidenten. Außerdem wird ein Nachfolger für die scheidende EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton gesucht. Die Währungsunion dürfte einen hauptamtlichen Vorsitzenden brauchen, bisher macht der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem als Nachfolger von Juncker die Arbeit in Teilzeit nebenher.

Die Festlegung der Konservativen auf den früheren Luxemburger Regierungschef bedeutet übrigens, dass noch ein potenzieller Kandidat seine Träume begraben kann: Im Hintergrund hatte nämlich auch der aktuelle Kommissionspräsident Barroso selbst darauf gehofft, dass er - falls die Konservativen niemanden finden sollten - noch einmal als Kompromisskandidat für eine dritte Amtszeit antreten darf. Das hat sich nun wohl endgültig erledigt.

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