Dinosaurier der Politik erinnern sich

München · Geballte politische Erfahrung war versammelt. Die Mächtigen von einst redeten bei der Sicherheitskonferenz in München über Vergangenheit und Zukunft.

23 Minuten hielt er aus, dann zündete er sich die erste Zigarette an. Auf dem Podium der Münchner Sicherheitskonferenz kräuselte sich der Rauch über Helmut Schmidt (95). Man hatte den Altkanzler (1974 bis 1982) neben drei andere Dinosaurier der Politik gerollt, um sich unter großen alten Männern daran zu erinnern, wie vor 50 Jahren die Sicherheitskonferenz gegründet wurde - damals noch als Wehrkundetagung. Neben Schmidt saß Valéry Giscard d'Estaing (87), von 1974 bis 1981 Präsident Frankreichs und enger Freund Schmidts. Neben ihm versank Henry Kissinger (90) in seinem Ledersessel, von 1973 bis 1977 US-Außenminister. Als nächster kam Egon Bahr (91), in den 60er-Jahren Vertrauter von Willy Brandt und "Erfinder der Ostpolitik".

Es war ein großer historischer, oft philosophischer Rundumschlag, zu dem der Moderator Josef Joffe die politische Seniorenrunde bewegen wollte - mit manchmal unerwarteten Folgen. Als er nach einstündigem Gespräch die Frage an Schmidt richtete, ob es die Nato in zehn Jahren noch geben werde, kanzelte Schmidt ihn ab: "Mir ist das ziemlich gleichgültig, ob sie in zehn Jahren noch existiert." Und: "Mir hat die bisherige Diskussion nicht sonderlich gefallen, sie beschäftigte sich mit den letzten 50 Jahren. Vielleicht liegt das an meinem Lebensalter: Ich bin mehr dafür, mich mit den nächsten 50 Jahren zu beschäftigen."

Bahr erinnerte sich an die "Nachrüstung" mit Kurzstreckenraketen und meinte, tatsächlich habe das Gleichgewicht des Schreckens zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion bestens funktioniert. Sie alleine entschieden doch über die Raketen. Sofort tauchte Kissinger aus der Tiefe seines Sessels auf und erklärte, niemals habe eine US-Regierung mit dem Gedanken gespielt, einen Atomkrieg auf deutschem Boden austragen zu lassen. "Wir wollten, dass die Sowjets wissen, dass sie die Bundesrepublik nicht angreifen können, ohne nicht die US-Raketen anzugreifen."

Vieles habe sich in der Sicherheitspolitik geändert, fanden die alten Herren. Bahr sprach die Möglichkeit elektronischer Kriegsführung an: "Jede Minute kann ein Schlag gegen unsere Stromversorgung erfolgen, und wir wissen noch nicht einmal, woher das kommt." Giscard, mit 87 der Youngster in der Gruppe, wies immer wieder auf künftige Konflikte in Asien hin.

Schmidt fand, dass man sowieso nicht über das Wichtige diskutiert hatte: "Wenn die EU weiterhin so vor sich hinwurschtelt wie in den letzten zehn Jahren, dann kann es sein, dass es die Nato zwar noch gibt, aber es gibt die EU nicht mehr." Und fügte hinzu: "Die Europäer überschätzen ihre Bedeutung." Sie seien rückwärtsgewandt. Es könne sein, dass sie bald überhaupt keine große Rolle mehr spielen würden.

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