Stuttgart 21 beschäftigt jetzt auch Berlin

Berlin. Die Spitze der Grünen schwärmte am Freitag aus zum "Schwabenstreich": Claudia Roth wollte am Abend in Berlin vor der Bahn-Zentrale an den Protesten gegen Stuttgart 21 teilnehmen, Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke in Dessau an den dortigen Solidaritätsaktionen und Cem Özdemir in Stuttgart an der geplanten Großdemonstration

Berlin. Die Spitze der Grünen schwärmte am Freitag aus zum "Schwabenstreich": Claudia Roth wollte am Abend in Berlin vor der Bahn-Zentrale an den Protesten gegen Stuttgart 21 teilnehmen, Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke in Dessau an den dortigen Solidaritätsaktionen und Cem Özdemir in Stuttgart an der geplanten Großdemonstration. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi drohte der Bundesregierung derweil mit einem Untersuchungsausschuss, und die SPD verlangte den Rücktritt von Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech. Die gewaltsame Räumung des Stuttgarter Schlossparks durch die Polizei am Donnerstag hat die Oppositionsparteien in Berlin elektrisiert - und die Koalition verunsichert.

Auch CDU und FDP wissen, dass die Demonstranten nicht einfach als grüne Spinner oder gar linke Chaoten abgetan werden können. Sondern dass viele normale Stuttgarter Bürger, vom Schüler bis zum Rentner, darunter sind. Leute, die im Frühjahr bei der Landtagswahl nach Möglichkeit wieder für CDU oder FDP stimmen sollen. Auffällig vorsichtig reagierte Angela Merkel (CDU, Foto: dpa), die erst vor kurzem gesagt hatte, die bevorstehende Wahl werde zur Volksabstimmung über das milliardenteure Bauprojekt werden. "Ich wünsche mir, dass solche Demonstrationen friedlich verlaufen", sagte die Kanzlerin mit sehr leisem Ton im regionalen Hörfunk. Natürlich sei sie für Diskussionen, doch die müssten irgendwann entschieden werden. Das sei in Stuttgart auf denkbar demokratische Weise geschehen. Merkel mag bei diesen Worten auch daran gedacht haben, dass sich gegen einige ihrer Entscheidungen ebenfalls Widerstand formiert. Der Polizeieinsatz am Donnerstagabend in Stuttgart lief noch, da versuchten die Grünen bereits, das Thema in den Bundestag zu ziehen. Ihren Antrag, am Freitag dazu eine aktuelle Stunde abzuhalten, lehnte die Koalitionsmehrheit aber ab. Immerhin fand Freitagfrüh auf Antrag der Linken eine kurze Sondersitzung des Innenausschusses statt. Sie erbrachte wenig Neues, weil aus Stuttgart noch keine genauen Berichte vorlagen. Nächste Woche kommt man erneut zusammen, und dann will die Opposition exakt wissen, wer wann und warum den Einsatz von Wasserwerfern und Schlagstöcken angeordnet hat.

Alle drei Oppositionsparteien forderten einen sofortigen Baustopp in Stuttgart. Auffällig war, wie oft Linke, SPD und Grüne darauf hinwiesen, dass es sich bei den Gegnern des Bahnprojektes um "brave schwäbische Bürger" handele, wie etwa Özdemir sagte. Deshalb werde man, so der Grünen-Chef, den 27. März 2011, den Wahltag, auch seitens der Opposition gern zur Volksabstimmung über Stuttgart 21 machen. "So wie Merkel es wollte."

Meinung

Denkpause statt Knüppel

Von SZ-Redakteur

Thomas Schäfer

Dass es in Stuttgart hunderte Verletzte gab, ist schon jetzt ein verdammt hoher Preis für das Milliarden-Projekt. Und es ist Ausdruck einer ganz und gar verfahrenen Situation. Es ist richtig, dass Stuttgart 21 von Parlamenten und Gerichten legitimiert ist. Es ist aber ebenso richtig, dass die Bürger die Chance haben müssen, jetzt, da Fakten geschaffen werden, Bedenken zu äußern. Das Projekt nach einem zähen Genehmigungsprozess (meist abseits der breiten Öffentlichkeit) einfach durchzuknüppeln, ist jedenfalls kein adäquater Weg. Dann doch besser auf die Kanzlerin hören, die die Landtagswahl zur Abstimmung über Stuttgart 21 ausgerufen hat. Wenn man sich darauf einigen könnte, wäre viel erreicht. Dann würde auch die Gefahr kleiner, dass es bald den ersten Toten gibt.

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