Analyse Wladimir Putin ist nicht das einzige Problem Russlands: Das Riesenreich steht wirtschaftlich auf tönernen Füßen

Analyse | Berlin · Russlands Wirtschaftsleistung entspricht etwa der des US-Staates New York und ist pro Kopf vier Mal kleiner als die deutsche. Putins Imperium löst zwar weltweit Furcht aus. Jedoch steht es auf tönernen Füßen.

Putin ist nicht das einzige Problem: Russland steht wirtschaftlich auf tönernen Füßen
Foto: dpa/Kremlin Pool

Es gibt keine nennenswerte Technologie für den Export, mit Ausnahme der Rüstung und der Atomkraft, ebenso keine Konsumprodukte made in Russia. Öl, Gas und Kohle machen fast 60 Prozent der Ausfuhren aus.

Als Dmitri Medwedew 2008 für ein paar Jahre regierte, gab es einen kurzen Anflug von Wirtschaftsreformen, doch wurden sie von Putin wieder gestoppt. Warum auch, wenn man billige Rohstoffe hat? Putins ganzes System beruht da­rauf, die russischen Bodenschätze bis zum letzten auszubeuten. Klimaschutz steht für Moskau nur auf dem Papier. Es ist absehbar, dass Russland, ähnlich wie sonst nur noch Kasachstan und der Iran, mit dieser Strategie in Konflikt mit dem Rest der Welt geraten wird. Auch mit China, das ein lebhaftes Interesse an echtem Klimaschutz hat.

Anders als Saudi-Arabien und die Emirate hat das Land keinerlei Vorsorge für die Zeit nach Öl und Gas getroffen. Die Exporte fossiler Brennstoffe werden jedoch unweigerlich abnehmen, wenn der Rest der Welt an der Politik der Dekarbonisierung festhält. Damit auch die Staatseinnahmen. Ersatz ist nicht in Sicht. Das ohnehin bescheidene Lebensniveau einfacher russischer Bürger gerät in Gefahr. Schon vor vier Jahren griff Putin in die Reserven der Rentenkassen, weil die Energiepreise eingeknickt waren und der Staatshaushalt kurz vor dem Kollaps stand. Das alles birgt große Risiken für das Regime. Die Russen mögen zwar stolz sein, wenn ihr Land es dem Westen so richtig zeigt. Aber sich die eigene Zukunft auf Dauer von einer kleinen Clique nehmen lassen, werden sie vielleicht nicht.

Das zweite systemische Problem Putins ist seine Nachfolge. Am ehesten ist Putins Regierungsform noch als eine Geheimdienst-Mafia-Diktatur zu charakterisieren. Wenige Oligarchen dürfen sich an den Rohstoffen bedienen, doch steht über ihnen der Geheimdienst, der jeden von ihnen in der Hand hat, weil er über all die Korruption weiß und auch die Justiz kontrolliert. Und über diesem der Präsident. Im Fall des einstigen Ölmagnaten Chodorkowski hat Putin eindrucksvoll gezeigt, was das bedeutet. Wer nicht spurt, stürzt ganz tief. Für den Herrscher im Kreml fällt in diesem System nebenbei natürlich auch ordentlich Geld ab – ebenso für seine beiden Töchter, für die Ex-Frau und für aktuelle Geliebte.

Das System der Einschüchterung von Oppositionellen und der Desinformation durch abhängige Medien ist inzwischen perfektioniert. Sicherheitshalber hat sich Putin, der schon 69 Jahre alt ist, gesetzlich eine praktisch unbegrenzte Amtszeit gesichert, plus eine Garantie, niemals strafrechtlich verfolgt zu werden.

Eigentlich kann nichts passieren, außer eben: Irgendwann muss auch er altersbedingt gehen oder er wird vom lieben Gott aus dem Spiel genommen. Früher oder später. Eine dynastische Nachfolgeregelung wie in Nordkorea gibt es nicht, natürlich auch keinen demokratischen Entscheidungsprozess.

Also wird es Hauen und Stechen geben. Der Nachfolger, wahrscheinlich wieder ein Angehöriger des Repressionsapparates, wird in dem Moskauer Haifischbecken jedoch zunächst seine Mühe haben, eine ähnliche Machtfülle zu bekommen wie Putin. Sollte er versuchen, sich Legitimation durch Scheinwahlen zu besorgen, droht ihm Ähnliches wie Lukaschenko in Belarus: Der totale Vertrauensverlust in der Bevölkerung. Dann wackelt das System.

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