Massaker von Las Vegas Horrorszenen auf der Vergnügungsmeile

Las Vegas · Der Todesschütze von Las Vegas gibt Ermittlern Rätsel auf: Stephen Paddock, ein 64-jähriger pensionierter Buchhalter, führte bislang ein unauffälliges Leben. Sein Motiv ist völlig unklar.

Mitten im Song bricht Country-Star Jason Aldean sein Konzert ab und flüchtet mit seiner Band von der Bühne. Unter den Festivalbesuchern in Las Vegas bricht am Sonntagabend (Ortszeit) Panik aus, Dutzende werden vom Kugelhagel des Attentäters niedergestreckt, während tausende Menschen davonstürmen oder sich in Deckung werfen. „Jeder versteckt sich irgendwo, sie verstecken sich unter den Bänken und unter den Pfosten (...). Menschen haben sich unter meinem Wagen verkrochen“, beschreibt eine Augenzeugin in einem Lokalsender die Horrorszenen.

Mindestens 59 Tote, mehr als 520 Verletzte – das ist die vorläufige Schreckensbilanz. Als Schütze wird der 64-jährige Rentner Stephen Paddock identifiziert. Seine Tat ist das schlimmste Massaker in der jüngeren US-Geschichte. Soweit der Ablauf bislang rekonstruiert werden konnte, zerschlägt Paddock mit einem Hammer oder ähnlichem die Fensterscheiben seiner Suite im 32. Stock des Hotels „Mandalay Bay“. Anschließend eröffnet er das Feuer auf die wehrlosen Konzertbesucher. Zehn bis 15 Minuten lang dauert das Blutbad. „Wir dachten, das Schießen würde nie aufhören“, sagt die Konzertbesucherin Shelley Mallory dem Sender CNN. „Es war die schlimmste Nacht meines Lebens.“ Bevor Sondereinheiten die Suite des Täters stürmen, erschießt sich Paddock selbst.

Der Todesschütze war ein stiller Buchhalter, unauffällig und ein wenig kontaktscheu. Das sagen Bekannte über Stephen Paddock. Seit Kurzem pensioniert, lebte er in einer Rentnerkolonie in der Nähe eines Golfplatzes in Mesquite, einer Kleinstadt in der Wüste Nevadas, gut eine Autostunde nordöstlich von Las Vegas. Sein Bruder Eric beschreibt ihn als wohlhabenden Mann.

Allein in Nevada soll er zwei Wohnungen besessen haben, eine in Mesquite, die andere in Reno, der Casinohochburg, die so etwas ist wie ein kleineres, nicht ganz so glitzerndes Las Vegas. Mit seiner Lebensgefährtin sei er viel gereist, des Öfteren auf Kreuzfahrtschiffen über die Meere gefahren, erzählte Eric Paddock dem Sender CBS. Stephen habe Poker gespielt, mit hohem Einsatz. Einmal habe er ihn per SMS wissen lassen, dass er gerade 250 000 Dollar gewonnen habe. Über Spielschulden sei nichts bekannt gewesen, auch sonst gebe es nichts, was seine furchtbare Tat auch nur im Ansatz erkläre. Drogen, mentale Störungen, Alkoholprobleme, nichts davon treffe seines Wissens auf Stephen zu. Der Schock treffe ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel, fügte Eric hinzu. „Es ist, als wäre gerade ein Asteroid auf unsere Familie herabgestürzt.“

Nichts von dem, was man bislang weiß über das Leben Stephen Paddocks, trägt wirklich zur Erhellung bei. Nichts hilft auch nur ansatzweise zu verstehen, was den 64-Jährigen dazu brachte, von einer Suite im Hotel „Mandalay Bay“ in Las Vegas auf Konzertbesucher am Strip zu schießen. Durch fanatische Ideen sei er nicht aufgefallen, betonen seine Brüder Eric und Patrick. Für irgendeine Ideologie habe er sich nie interessiert. Es fällt schwer, angesichts der bisher bekannt gewordenen Bruchstücke seiner Vita zu glauben, was die Terrormiliz Islamischer Staat verkündet: Dass Paddock, vor Monaten zum Islam konvertiert, einer ihrer „Soldaten“ gewesen sei. Bisher gebe es keine Beweise, nach denen der Schütze Verbindung zu einer internationalen Terrororganisation hatte, kommentiert das FBI.

In den Achtzigerjahren arbeitete Paddock für ein Unternehmen, das heute zum Rüstungskonzern Lockheed Martin gehört. 2003 machte er seinen Pilotenschein, um Privatjets fliegen zu können. Was man inzwischen an Details aus seiner Biografie kennt, führt alles nicht weiter. Das Rätselraten, Joseph Lombardo, der Sheriff von Las Vegas, bringt es auf den Punkt: „In die Gedankenwelt eines Psychopathen kann ich mich nicht hineinversetzen.“

Fest steht wohl, dass das Massaker nicht dem spontanen Entschluss eines Amokläufers entsprang. Im Gegenteil, der Rentner hat sie akribisch vorbereitet. Nachdem er ein Zimmer im 32. Stockwerk des „Mandalay Bay“ gemietet hatte, legte er dort ein regelrechtes Waffenlager an. Mindestens 23 Feuerwaffen, in mindestens zehn Koffern, so der Sheriff Lombardo, soll er nach und nach auf das Hotelzimmer gebracht haben, zumeist Gewehre, einige versehen mit Zielfernrohren. Mit einem schweren Gegenstand, womöglich einem Vorschlaghammer, zertrümmerte er Fensterscheiben, dann verschanzte er sich in der 32. Etage wie hinter den Zinnen einer Burg. Die halbautomatischen Waffen, die Paddock nach jetzigen Erkenntnissen benutzte, konnte er legal in Nevada erwerben, hätte sie jedenfalls legal dort erwerben können. Da er nicht vorbestraft war, stellte der Computerabgleich mit dem Strafregister, wie ein Waffenhändler mit Lizenz ihn vornehmen muss, für ihn keine Hürde dar. In seinem Haus in Mesquite seien neben Schusswaffen und Tausenden Patronen Sprengstoff gefunden worden, Tannerit und Ammoniumnitrat, teilte die Polizei mit.

Der Vater des Todesschützen von Las Vegas, Patrick Paddock, stand einst auf der Liste der „Ten Most Wanted“, mit deren Hilfe das FBI nach den zehn meistgesuchten Straftätern fahndete. 1961 war der Senior nach einer Serie von Bank­überfällen zu 20 Jahren Haft verurteilt worden, 1968 aus dem Gefängnis geflohen. Seine drei Söhne hätten praktisch nichts von ihm gehabt, heißt es in amerikanischen Medienberichten. Aber was tragen solche Informationsfetzen schon bei zur Suche nach dem Motiv?

Wie es häufig der Fall ist nach einem solchen Verbrechen, ist in Washington eine Waffendebatte in Gang gekommen, ein Diskurs, dem Skeptiker prophezeien, dass er sich schon bald im Sande verlaufen wird. „Das muss aufhören“, fordert der Demokrat Chris Murphy, ein Senator aus dem Neuenglandstaat Connecticut. In den USA seien Massenschießereien zu einer Epidemie geworden. Ihn packe die Wut, wenn er sehe, wie ängstlich sich viele seiner Kollegen vor der Waffenlobby wegduckten, vor einer Lobby, die regelmäßig zum Spendenscheck greife, um die Kongress-Wahlkämpfe zu finanzieren, vor allem jene der Republikaner. „Sie haben solche Angst, dass sie behaupten, es könne keine politischen Antworten auf diese Epidemie geben“, wettert Murphy.

Allerdings glaubt kaum jemand, dass nun ein Ruck durchs Parlament geht. In der jüngeren Vergangenheit ist noch jeder Anlauf zu einer Verschärfung der Waffengesetze am Widerstand von Volksvertretern gescheitert, die sich auf den zweiten Zusatzartikel zur Verfassung berufen. Auf jenes 1791 beschlossene „Second Amendment“, welches das Recht auf privaten Waffenbesitz garantiert.

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