Referendum in Katalonien Eine ganze Region probt den Aufstand
Barcelona · In zwei Tagen will Katalonien über die Unabhängigkeit von Spanien abstimmen.
(dpa) Vor dem Rathaus von Arenys de Munt fassen sich die Menschen an den Händen und drehen sich in einem großen Kreis im Tanze. Aus Lautsprechern ertönt Musik von Flöten, Trommeln und Trompeten – der Startschuss für die „Sardana“, den Volkstanz Kataloniens. Einen Moment lang scheint es, als sei die Welt in diesem Teil Spaniens in bester Ordnung. Aber um die fröhlich hüpfenden Bürger herum, an den Häuserwänden und über ihren Köpfen, flattern Fahnen und Schriftbanner im Wind – sichtbare Zeichen dafür, dass hier eine ganze Region den Aufstand probt. An Balkonen und Fenstern haben sie „Esteladas“ angebracht, die Flagge der Unabhängigkeitsbewegung: Vier rote Streifen auf gelbem Grund, seitlich ein blaues Dreieck mit weißem Stern.
„Es ist alles vorbereitet, es kann losgehen“, sagt Joan Rabasseda, der Bürgermeister des 40 Autominuten von Barcelona entfernten Ortes, und lehnt sich in seinem schmucken Büro lässig zurück. Trotz aller Drohgebärden aus Madrid hat er entschieden, das von der Regionalregierung ausgerufene Referendum über eine Abspaltung der wirtschaftsstarken Region am 1. Oktober abzuhalten. Dass die Polizei Millionen von Wahlzetteln beschlagnahmt hat, stellt offensichtlich keine Hürde dar. „Wir drucken in unseren Häusern einfach neue“, schmunzelt Rabasseda, schließlich lebe man ja im 21. Jahrhundert.
„Ich muss auf die Bürger hören. Wie soll ich ihnen denn erklären, dass sie nicht wählen dürfen?“, verteidigt er seinen Entschluss. Denn die Regionalregierung sagt „sí“, wir werden abstimmen – ungeachtet aller Versuche von Ministerpräsident Mariano Rajoy und seiner konservativen Volkspartei (PP), dies zu unterbinden. Das Verfassungsgericht gab Rajoy zwar Recht und untersagte die Volksbefragung, aber die Katalanen geben sich kühn und kämpferisch. Für seine Aufmüpfigkeit musste Rabasseda bereits bei der Justiz vorstellig werden – eine ganze Busladung von Unterstützern aus dem Dorf reiste mit ihm zur Anhörung.
Denn die Katalanen halten zusammen. Sie pochen auf ihre „Andersartigkeit“, auf ihre katalanische Sprache und Kultur, die so gar nichts mit dem Rest des Landes gemeinsam hätten. Der Wunsch nach Selbstbestimmung hat tiefe Wurzeln und ist beileibe nicht neu. Seit Jahrhunderten gab es immer wieder separatistische Bewegungen.
Doch es ist nicht sicher, ob bei einem Referendum tatsächlich die Mehrheit der Wähler für die Trennung von Spanien stimmen würde – was die Menschen vor allem wollen, ist die Möglichkeit, darüber abstimmen zu dürfen.
Allerdings gibt es auch Orte in Katalonien, in denen die Menschen das ganze Brimborium um das Referendum kaum interessiert. In der Industriestadt Baladona etwa, nordöstlich von Barcelona, hängen keine „Esteladas“ aus den Fenstern. Die grauen Hochhäuser sind vom Flaggenmeer verschont geblieben. An vielen Lagerhallen prangen hingegen chinesische Schriftzeichen. Hier leben vor allem Zuwanderer, die um ihr tägliches Auskommen kämpfen. Sie haben andere Sorgen als die Abstimmung.
In Barcelona ist das bevorstehende Referendum dagegen allgegenwärtig. „Votamos para ser libres“ (Wir wählen, um frei zu sein), lautet einer der Slogans, mit denen ganze Häuserzeilen zugekleistert wurden. Irgendwie kommt das Gefühl des Gruppenzwangs auf – und wer nicht mitmacht, wird als Verräter betrachtet. Ein kritischer Bürger bringt es auf den Punkt: „Für die Unabhängigkeit zu sein, wird als toll angesehen, es ist in Mode. Aber wenn du es wagst, das zu hinterfragen oder Skepsis zu zeigen, bist du ein Faschist und Antidemokrat.“
Was am Sonntag geschehen wird, steht in den Sternen. Denn die verhärteten Fronten werden sich nicht erweichen lassen. „Die Regierung meint, Spanien würde durch die Unabhängigkeit Kataloniens ein Arm oder ein Bein amputiert“, resümiert Jaume López, Professor für Politikwissenschaften in Barcelona. „Die Katalanen sehen das eher als ‚Scheidung’, nach der man zwar noch im gleichen Haus wohnen kann, aber jeder seiner eigenen Wege geht.“